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Der Heidelberger Appell – Irrsinn pur

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Es ist unfassbar. Da schließen sich gestandene Wissenschaftler einem Appell an, der vor Polemik, nichtexistenter Sachlichkeit und irreführenden Tatsachenbehauptungen nur so strotzt. Sie schließen sich einem Appell an, der in bundesrepublikanischer Gemütlichkeit nach dem Staat schreit, ohne auch nur ansatzweise einen konstruktiven Vorschlag einzubringen. Wissenschaftler, die in ihrer Forschung und ihrer Lehre das Prinzip differenzierter Analyse und eingehender Recherche vermitteln sollen, setzen ihre Unterschrift unter einen Appell, der diese Grundprinzipien wissenschaftlicher Ethik mit Füßen tritt. Das Unfassbare ist nicht der Appell selbst. So etwas musste früher oder später kommen. Musik- und Filmindustrie haben die Angst und Hilflosigkeit vor den neuen Technologien gezeigt und es war nur eine Frage der Zeit, bis diese Angst und Hilflosigkeit auch bei den Akademikern zum Ausbruch kommt. Das Unfassbare ist, dass er von so vielen Leuten in dieser Form unterstützt wird.

Worum geht es? Roland Reuß und die Verleger Manfred Meiner, Vittorio Klostermann und KD Wolff haben auf der Reuß’schen textkritik-Seite einen Appell gestartet, in dem der stärkere Schutz des Urheberrechts, Maßnahmen zur Wahrung der Freiheit von Forschung und Lehre sowie der Presse- und Publikationsfreiheit gefordert werden. Stein des Anstoßes sind die neuen Technologien und damit einhergehende neue Wege der Distribution. Für die Herren macht es dabei keinen Unterschied, ob der Distributionsweg nun google books oder OpenAccess heißt. Alle gleich böse. Zuständig für die Umsetzung der Forderungen ist die Politik. Klar, wer sonst. Eigene, konstruktive Vorschläge, wie mit den neuen Distributionswegen sinnvolle Verbesserungen für Autoren und Nutzer gleichermaßen geschaffen werden können, wären ja vielleicht angreifbar und würden nur zu einer sachlichen Debatte führen. Dem voraus gingen zwei Artikel von Roland Reuß, die von der FAZ und der Frankfurter Rundschau veröffentlicht wurden. Den konkreten Verlauf der Debatte sowie wichtige Gegenargumente hat Matthias Spielkamp (iRights.info) im Perlentaucher zusammengefasst. Eine fortlaufend aktualisierte Berichterstattung aus den Blogs und Zeitungen gibt es bei Archivalia.

Aber kommen wir zurück zu den Akademikern. Ich will hier gar nicht in die Bresche “Ewiggestrige”, “Technologie kann sich nicht aufhalten lassen” usw. schlaagen. Wir webaffinen Menschen kennen die Argumente zur Genüge. Aber man darf dabei nie vergessen, dass die neue Technologien mit den entsprechenden Möglichkeiten, diese für sich selbst positiv zu nutzen, noch lange kein Allgemeinwissen ist. Bei vielen Unterzeichnern dürften wirklich Ressentiments gegen Google eine entscheidende Rolle spielen. Oder vielleicht auch nur das Stichwort “Urheberrechtsschutz”, bei dem alle erstmal “Hier! Ich!” schreien. Was mich erschüttert – und zwar in erster Linie bei den Unterzeichnern -, ist die ganz offenbar fehlende Reflexion der momentanen Situation. Der Appell fordert u.a. Publikationsfreiheit. Jeder, der akademischen Unterzeichner hatte in seinem Leben mindestens einen Verlagsvertrag in der Hand und hat mit dessen Unterzeichnung sämtliche Rechte an seinem Text an den Verlag abgetreten. Total-Buy-Out-Vertrag nennt sich so etwas. Um den eigenen Aufsatz erneut an anderer Stelle zu publizieren, ist dann die Erlaubnis der Verlags notwendig. Publikationsfreiheit sieht wahrlich anders aus. Und das ist auch genau der Grund, weshalb im Rahmen des Open Access Projektes eine Auseinandersetzung um Open-Content-Lizenzen stattfindet.

Nun macht es natürlich wenig Sinn, diese Aktion einfach nur zu verteufeln. Die pure Anzahl der im akademischen, literarischen und publizistischen Betrieb Tätigen, die diesen Appell unterzeichnet haben, ist ein Hinweis darauf, dass neue Konzepte auch in der Verlagswelt noch Überzeugungsarbeit leisten müssen. Aber wie schon bei Musik und Film wird auch bei Büchern das reine Verklagen und Verbieten zu genau einem führen – nichts.

Zum Weiterlesen bitte hier entlang:
textkritik – Appell und alle Beiträge pro-Appell
Archivalia – fortlaufende Berichterstattung
Matthias Spielkamp beim Perlentaucher
Robert Gehring (ebenfalls Autor bei iRights) auf golem.de – erhellende Rahmen- und Hintergrundinfos
bibliothekarisch – Linkliste mit weiteren Artikeln

2 Comments

  1. oh, das klingt interessant. werde mich dann mal morgen durch die links lesen. merci, schon mal :)

  2. Pingback: Meine re:publica09-Nachlese - Graubrot

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