die katrin

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Die Generation P

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Derzeit sind sie in aller Munde: die Praktikanten. Fast bin ich geneigt zu fragen, ob es sich denn hierbei um ein neues Berufsbild handelt. Doch Scherz beiseite. Die derzeit laufende Diskussion um die unsichere und – marxistisch gesprochen – ausbeuterische Lage der Praktikanten ist nur die Spitze eines Eisberges, in der ganz grundlegend die Definition der Arbeitsanforderungen reformuliert wird.
In Zeiten, in denen sich viele Chefmanager dem Diktat des “Sparen, sparen, sparen” unterwerfen, wird die menschliche Arbeitskraft wieder zur Leistungsmaschine degradiert und der einstmals positiv besetzte Begriff der Human Resource auf den zweiten Teil der Quelle reduziert. Als ob es irgendwo auf dieser Welt eine unerschöpfliche Quelle gäbe.

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in den USA einen sog. Wissenschaftler, der sich mit der Optimierung von Produktionsabläufen unter dem Motto des Scientific Managment befasste: Frederick W. Taylor. Das von ihm entworfene Konzept, welches als Taylorismus in die Welt ging, sah im Kern eine bis ins Kleinste vorgenommene Teilung der Arbeitsschritte mit dem Ziel der vollkommenen Routine vor. Für die praktische Anwendung hat Taylor den Fabrikbesitzern überdies ein Experiment vorgeführt, welches optimale Bewegungsabläufe feststellen sollte. Einige Arbeiter wurden herangenommen und an ihnen die Belastbarkeit getestet. Die Ergebnisse wurden sodann als Vorgaben für alle Arbeiter proklamiert. Problem: Taylor nahm hierfür die körperlich stärksten Arbeiter. (Einen guten Überblick hierzu geben Kieser und Ebers in ihrem Band “Organisationstheorien”)
Taylors Ansatz erlebte nur einen kurzen Siegeszug in der Wirtschaft: Henry Ford hat bei der Produktion des T-Modells dieses Prinzip der Arbeitsorganisation angewandt, was als Fordismus in die Geschichtsbücher der BWL und Soziologie einging. (Siehe auch hierzu Kieser/ Ebers.) Nach massiven Protesten seitens der Arbeiter wurde die Personalplanung durch die Human-Relations-Bewegung (Wikipedia bietet leider nur sehr wenig hierzu) abgelöst.

Derzeit erlebt der Taylor´sche Ansatz bei der Planung der Arbeitsziele nun in anderer Form ein Comeback. Die seit den 80ern erstarkende Werbewirtschaft und all die Agenturen rund um
die Neuen Medien sind Vertreter. Call Center sind fast schon ein Inbegriff bei der Benennung unverhältnismäßiger Arbeitsplatzorganisation. Doch auch bei Telekommunikationsunternehmen, Verlagen, Immobilienunternehmen, Eventagenturen oder Unternehmensberatungen findet sich eine neue Qualität der Definition dessen, was ein Angestellter für “sein” Unterehmen leisten soll. Mit Ausnahme öffentlich-rechtlicher Einrichtungen scheint es mittlerweile in jeder Branche die schwarzen Schafe zu geben, die die Anforderungen an ihre Mitarbeiter in absurde Dimensionen treibt. Gemeint sind
ganz allgemein die einer Stelle zugeordneten Verantwortlichkeiten.
Auszubildende sollen vor Ihrer Ausbildung ein sechsmonatiges Praktikum absolvieren und werden bereits zu diesem Zeitpunkt mit Aufgaben betraut, die einem Projektassistenten oder gar Projektleiter zustehen. Sekretärinnen werden halbe Fondsmanager und müssen nach “internen Umstrukturierungen” zu viert dieselbe Menge an Aufgaben abarbeiten, die vorher von 7-8 Kräften bearbeitet wurden. Mitarbeiter im Outbound und Promo-Leute werden fast nur noch nach erfolgreichen Abschlüssen bezahlt. Technische Außendienstmitarbeiter sollen ihre Aufträge am Besten gleich selbst an Land ziehen und im Nachhinein auch selbst abrechnen.

All diesen Erfahrungen aus meinem privaten Umfeld ist die schleichende und manchmal sehr subtil arbeitende Übertragung der unternehmerischen Verantwortung und des unternehmerischen Risikos von oben nach unten gemein. Sicher hat jeder Mitarbeiter für die übertragenen Aufgaben die Verantwortung der Erfüllung dieser Aufgaben selbst Sorge zu tragen. Ein Teil der oben geschilderten Situationen ist auch in erster Linie bzw. an der Oberfläche der schwachen Konjunktur zuzuschreiben. Doch mir scheint, der überall benannte Wunsch nach erfüllender, selbstbestimmter Arbeit und einem Lebenskonzept, das Selbstverwirklichung zulässt, trifft immer mehr auch diejenigen, die entweder aus gutem Grund ‘kleine’ Angestellte sind oder diejenigen, die auf Grund ihres jungen Lebens noch gar nicht dazu in der Lage sind, über Wohl und Wehe ganzer Projekte zu entscheiden – samt dem finanziellen Risiko, das bei einer Unternehmung immer mit gegeben ist. Dummerweise fehlt die Vergütung für das – meist implizit – zu tragende Risiko und also für hohe Leistungen, die bei Taylor ja immerhin vorgesehen war. Stellt sich die Frage, wie lange es gut gehen kann, dass die in der Wirtschaftswelt am Anfang stehenden bzw. die in der Unternehmenshierarchie Untenstehenden Anforderungen gestellt bekommen, die bisher an entsprechend Ausgebildete (Menschen, die häufig über viele Jahre an ihren Aufgaben wachsen konnten) übertragen wurden.

Die Konsequenz aus der Übertragung der Verantwortung wäre eigentlich, dass jeder Einzelne von uns seine eigene Unternehmung startet. Oder seinen Lebensentwurf von vornherein als Patchwork anlegt und von Projekt zu Projekt hüpft. Oder als Prosumer seinen Lebensinhalt findet (näheres bei Lobo und Friebe in “Wir nennen es Arbeit”, S. 215f. und S. 275ff. bzw. in der Ecke der Virtuellen Mikroökonomie). Dann tragen wir alle ganz offen das unternehmerische Risiko für das, was wir so tagtäglich zu Stande bringen. Stellt sich wiederum nur die Frage, was dann all diejenigen machen, die das Selbständigkeits-Gen nicht in sich tragen.

6 Comments

  1. ich weiß es doch auch nicht, aber wie wärs mit Neudefinition von Arbeit (vgl. bedingungsloses Grundeinkommen) oder doch Vergesellschaftung der großen Konzerne?
    Keine Antworten nur Denkansätze von einem der jetzt REAL ins Bett geht.
    Wir arbeiten weiter dran an der Verbesserung der Welt!

  2. Sie studieren Wirtschaft? Schade, ich begann gerade, Sie zu mögen. (^-^*)

    Die Neudefinition von Arbeit, daran knabbere ich hin und wieder, seit ich – ich geb’s zu – The next Generation gesehen hab. Auch wenn das aufgesetzte Zusammenleben dort heute nicht mehr die Anziehungskraft auf mich besitzt, fand ich das Modell Arbeit ohne Geld immer besonders interessant.

    Vor zwei Jahren bin ich mal im Internet auf eine echte Alternative gestoßen. (Echt, weil sie in Ansätzen schon funktioniert und auch längerfriftig denkbar ist.) Das Prinzip nennt sich Neue Arbeit, ausgedacht und umgesetzt hat sich das der Philosoph und Anthropologe Frithjof Bergmann (hier in einem ZEIT-Interview), der seine Idee u. a. schon mit General Motors umzusetzen versucht hat. High-Tech-Eigenproduktion ist das Stichwort und eine enorme Arbeitszeitreduzierung.
    Hab mich aber schon lange nicht mehr mit beschäftigt.

    Aus der Informatik war mit das wichtigste, das ich mitgenommen habe, dass wir, die wir ein wirtschaftlich, kulturell, sozial, ökonomisch, technologisch prägendes Fach studieren, am meisten Einfluß drauf haben – aber leider meistens auch ohne Eigenreflexion einfach an dem Weitermachen, was andere angefangen haben.

    So hast Du als BWLerIn eine Verantwortung nicht nur Deinem Fach gegenüber, sondern auch an allen Auswirkungen, die Deine Arbeit dort mit sich bringt. BWL denkt – genau wie die Informatik – in bestimmten, sich zunächst selbst fördernden Strukturen, und man muß sich immer wieder neu überlegen, inwiefern man da mit gutem Gewissen weitermachen kann, wo man dran arbeitet.

    Beispiel: Informatik wird in erster Linie für Ballistikberechnungen eingesetzt, also im Militär. Wenn ich an einer Soft-/Hardware arbeite, die Gehirnströme misst und diese in Computerbefehle umwandelt, muß ich mir überlegen, wofür das wahrscheinlich eingesetzt werden wird. Ich kann da wirklich was dran ändern: Ich kann, da ich mich in den Grundlagen besser auskenne als ein Außenstehender, dabei helfen, mögliche Auswirkungen auf die verschiedensten Lebensbereiche schon im Voraus möglichst genau abzuschätzen, ich kann drüber informieren, und ich kann nicht zuletzt auch noch aussteigen.

    (Wollte nicht belehren, ‘tschuldigung, ist nur ein für mich selbst sehr wichtiger Punkt. Auch wenn ich z. Z. nur noch am Rande mit Informatik zu tun hab. Die Literaturwissenschaft scheint sich die Selbstreflexionfrage ja schon von Natur aus öfter stellen zu müssen.)

  3. Lieber Herr Stein,

    ist das etwa ein Teufelchen da am Anfang in den Klammern? (Muss ich jetzt mal so nachfragen, kenn ich nämlich noch gar nich.) Aber Sie dürfen weitermachen mit Ihrem Sympathieaufbau, ich hab BWL abgewählt. Dummerweise/ Interessanterweise/ werweißweise hab ich die wirtschaftsgeschichtlichen Informationen zwar auch in der BWL mitbekommen (is ja nun auch nicht so, dass Taylor dort in den Himmel gelobt oder unkritisch dargestellt würde), aber in erster Linie aus der Soziologie.

    Aber mal eine ganz andere Frage: Wirkt der Text so, dass der Eindruck entsteht, hier würde der rücksichtslosen Gewinnmaximierung der rote Teppich ausgerollt? Hab ich nicht über den Tellerrand geschaut, nur weil keine Utopien zur Sprache kamen? (Das ist vermutlich ein Ihnen sehr dringliches Anliegen, doch bekomme ich den Weg von meinem Text zu Ihrem Aufruf nicht zusammen ;-) )

    Vielen Dank für den Hinweis auf die Neue Arbeit. Diese Realisierung ist ja ganz eng verzahnt mit dem Konzept des Prosumers (producer-consumer).

    soviel für jetzt.
    es grüßt miss sophie

  4. Liebes Fräulein,

    das (^-^*) ist kein Teufelchen, sondern ist ein Gesicht von vorn mit zusammengekniffenen Augen. Geht z.B. auch als (-_-) etwas entmutigter durch. Zählt auch zu den Emoticons wie :-), ist aber japanisch. Das Sternchen ist die in japanischen Zeichnungen verbreitete ‘Erregungs’-Träne, die gerne an den Schläfen erscheint, wenn man irgendwie echauffiert ist, sich schämt, innerlich errötet oder so.

    Wirkt der Text so, dass der Eindruck entsteht, hier würde der rücksichtslosen Gewinnmaximierung der rote Teppich ausgerollt?
    Nein, überhaupt nicht! Im Gegenteil. Und Ich hoffe, mein Kommentar wirkte nicht so!
    Sie kamen zum Schluss Ihres Beitrags eben auf die Frage, inwiefern Selbständigkeit, Mündigkeit denn nun ein ultimatives Konzept sein kann. Björn brachte darauf eine Neukonzeption von Arbeit an, und so kam ich auf das Prinzip der “Neuen Arbeit”, die eben gerade in selbständiger Arbeit besteht, nämlich dem selbständigen Anfertigen von Gebrauchgegenständen (wie Toastern oder Notebooks) mittels moderner Technologien – und einer grundsätzlich überlegten Herangehensweise an das, was wir “Arbeit” nennen: Was will ich tun? Warum tue ich das? Tue ich das für mich? Für andere? Fürs Geld? Was will ich sonst tun? Welche Lebensweise kann ich vor mir und anderen verantworten?

    Ich hab das dann gleich wieder angewendet auf das, was wir aktuell tun oder getan haben, unser Studium. Ist ja auch Arbeit, die wir vor uns und einer gesellschaftlichen Funktion verantworten sollten.

    Ich komm leider nicht aus der angewandten Philosophie-Ecke heraus zur Zeit. Also nehmen Sie meinen Kommentar bloß nicht als den mahnenden Zeigefinger, aber auch nicht als Utopie. Von der Ausbeutung der Praktikanten und der Frage nach der (nicht nur ökonomischen) Selbständigkeit war der nächste Schritt also: moment, Du bemerkst, dass da was schief zu laufen droht innerhalb der wirtschaftlichen Konzeption von Arbeit, und Du studierst Wirtschaft? Dann ist das doch genau der richtige Ansatz: Als Wirtschaftswissenschaftlerin verstehst das Thema am besten und kannst mit solchen Überlegungen, wenn Du willst, Einfluss nehmen auf die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften und damit auch auf die wirtschaftliche Denkweise. Du hast die Möglichkeit, solch eine ethisch-philosophische Herangehensweise an Wirtschaft weiterzuentwickeln und zu verbreiten, anderseits besteht aber auch die Gefahr, dass Du von der üblichen wirtschaftswissenschaftlichen Methode mitgerissen wirst und verlernst, darüber hinauszudenken.
    Und letzteres meinte ich eben gar nicht persönlich, ich kenn Dich ja nicht, sondern ganz allgemein, daher mein Beispiel aus der Informatik. Wir haben eben alle die Möglichkeit, das zu hinterfragen, was wir tun, um es dann vielleicht besser machen zu können, oder es einfach nur zu tun, weil es getan werden muss. Das ist Arbeit, bzw. die Einstellung dazu, und schwupps sind wir wieder bei Björn.

    Den “Prosumers”-Begriff kenn ich glaube ich nur am Rande im Zusammenhang mit Internet-Wikis und Bloggern. Wir nutzen das Internet als Quelle und tun dafür was rein, das ist die gribe Zusammenfassung vom WIki-Konzept, aber da hieß das anders. Triffts das?

  5. Den “Prosumers”-Begriff kenn ich glaube ich nur am Rande im Zusammenhang mit Internet-Wikis und Bloggern. Wir nutzen das Internet als Quelle und tun dafür was rein, das ist die gribe Zusammenfassung vom WIki-Konzept, aber da hieß das anders. Triffts das?
    Auch. Im Zusammenhang mit dem direkt ins Netz gestellten Content, für das mensch dann Geld bekommen kann, sobald dieser Content von anderen Nutzern angeschaut wird, gibt es mittlerweile den Begriff der Generation (C)ash. (Weitere Links von dort aus.)
    Der Prosumer gilt aber (etwas weiter gefasst) für all diejenigen, die als originäre Konsumenten zum “Produzenten” bzw. Händler werden. Händler mit dem, was sie zuvor lediglich konsumiert haben. Ebay ist da das bekannteste Beispiel.
    Man könnte auch sagen, jeder der sein Hobby zum Geldverdienen nutzt, fällt hierunter. Schnurzpiepegal, wieviel dabei rumkommt.

    In diesem Zusammenhang kann Arbeit dann als etwas beschrieben werden, das der Freizeitgestaltung entspringt und einen größeren zeitlichen Rahmen innnerhalb der Lebensgestaltung einnimmt. In diesem Zusammenhang sehr ich auch das Konzept der Neuen Arbeit.
    Es geht hier nicht mehr nur darum, am Ende seiner Schulzeit zu schauen, welche Berufe gibt es und was davon kann ich mir ganz persönlich für meine Zukunft am Besten vorstellen. Es geht mehr darum, welche Interessen, Ansichten und Fähigkeiten sind bisher in meinem Leben innerhalb meiner (bisher so bezeichneten) Freizeit bestimmend und inwiefern kann ich hiermit eine Nische finden, die es mir ermöglicht, auch Miete und Essen davon zu bezahlen.

    Hier bin ich dann auch schon beim großen Thema “Geld”.

    Aber verdammt, meine biologische Schutzhülle samt anderer Identität muss Weihnachten feiern gehen. Ohne Patriarchat und total emanzipatorisch :-). Zum Geld also ein andermal. Ich geb´s jetzt erstmal aus.
    “ihr wisst ja, wie das ist, es ist: das geld kommt aus der wand
    und ist es schließlich erstmal da, erinnert sich keiner mehr daran,
    wie´s dahin kam, was geschah,
    nur dass es weg muss, das ist klar.” (m. wiebusch)

  6. zu Herrn Steins Kommentar (= Kommentar 2):

    Der Albert hat ein Filmchen zu Prof. Bergman auf seinem Blog!

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