Irgendwann mal unterhielt ich mich mit einem Kumpel darüber, wie wir eigentlich so musikalisch sozialisiert wurden. Er erzählte von teils älteren Kumpels, Dorfkneipen, Veranstaltungen in der Gegend und dem darauf folgenden Austausch per Mixtape. Ich hatte dem nur eins entgegen zu setzen: das Radio.
Ich bin ja in der glücklichen Situation, meine Jugend und alles danach in einer Umgebung zugebracht zu haben und zuzubringen, die immer mindestens einen guten Radiosender bereit hält: Berlin/ Brandenburg. Besagter Kumpel kommt aus einem Kaff in der Nähe von Heilbronn und konnte mit meiner Begeisterung fürs Radio herzlich wenig anfangen. Er ist allerdings auch zu jung, um die alten Zeiten des SWF3 (Südwestfunk) kennen zu lernen. Sagenumwoben sollen die gewesen sein – hab ich mir sagen lassen. Er hingegen ist in einer Zeit groß geworden, wo das Radio in Baden-Württemberg nur Charts und Schlager im Angebot hatte.
Berlin bzw. Potsdam war da um einiges glücklicher. Nachdem DT64 abgestöpselt wurde, ging 1993 Radio Fritz auf Sendung. Und wurde innerhalb kürzester Zeit the station to listen to. Das wurde dann auch meine Musik-Sozialisation. Martin Petersdorf mit seinem Soundgarden am Donerstag vorne weg. Trevor Wilson und… – verdammt, der Name seines Kompagnons will mir ums Verrecken nicht mehr einfallen – in der englischsprachigen Sendung “Puttin´ on the Fritz“, selbst Nachrichten und Wetter wurden von den beiden Herren in schönstem british english vorgetragen. Die Fußballergebnisse der Premier League gab´s dann immer in der zweiten Hälfte – und da wundere sich nochmal einer, warum ich´n England-Trikot besitze. Mike Lehmann: Wir reiten bis zum Horizont und wieder zurück. Die Morgensendungen mit Steffen Hallaschka und Holger Klein, “Horkheimer und Adorno der Radiolandschaft”. Anfangs aufgewacht mit Robert Skupin und Volker Wieprecht, bevor sie zu RadioEins gingen. Fritz spielte damals auch den Song von den beiden Pöbel-Puppen, die in den Neunzigern bei MTV eine Art Pendant zu Beavis und Butthead im british style waren. Weiß einer, was ich meine? Jingles mit subtilem und absurdem Humor. Kuttner, der das Astronautenlied über Jurij Gagarin spielt und immer noch ne halbe Stunde mit Johnny gequatscht hat, als der noch seinen Soundgarden am Dienstag hatte. Sonntag mittags lief immer das Frühstyxradio.
Aufgekommen sind diese Erinnerungen in den letzten Stunden, als ich Max Spallek auf motor.fm lauschte. Und wieder seine Vivid-Anekdote brachte. Hat er auf Fritz damals auch schon gebracht. Spallek kommt aus Salzgitter, ein Ort an dem nichts, aber auch gar nichts außer Industrie und kleinbürgerliches Leben zu finden ist. Selbst mit der Kultur is es da nich weit her. Und eines Tages erscheinen Vivid auf der Bildfläche und der Spallek kann allen erzählen, dass er da auch herkommt.
Das Radio, mit dem ich Fritz kennen gelernt habe, leistet mir übrigens auch heute noch gute Dienste.
2. March 2007 at 8:52 AM
Naja, aus dem Kumpel ist ja doch ein Mensch mit exzellentem Musikgeschmack geworden. Ist der echt noch so jung? Die Fusion zweier brauchbarer Radiosender zum unerträglichen SWR3 hat “erst” vor achteinhalb Jahren stattgefunden.
Allerdings war SWF3 damals schon ein Poppersender, wenn auch mit gelegentlichem Mut zum Experiment wie bei den ersten New Pop Festivals. Deutlich mehr Mut auch zur musikalischen Anarchie (allerdings immer auf dem Level der Kompatibilität mit dem Geschmack landlicher BikerClubs) bewies damals in den guten alten 90ern SDR3, in der eigens gegründeten “Republik Wilder Süden”. An Fritz kamen aber beide nicht ran.
Insoferne kenn ich das mit den älteren Kumpels und den Mixtapes auch sehr gut.
Was mich allerdings wundert: Seit bald zehn Jahren jibbet im Südwesten den Sender “Das Ding”, die von Anfang an so Dinge wie MP3-Charts, Newcomercontests und Spartensendungen hatten. Die waren und sind zwar moderationstechnisch etwas blabla, musikalisch aber extrem spannend, weil kaum mainstreamig.
Für Freaks und eingewihte gab und gibt es in BaWü die älteste Szene von FreienRadios in der BRD. In Stuttgart hatten da Ende der 90er die Kolegen von der Kolchose Ihre abgefahrene HipHop-Sendung (und etwas später someone else seine mitelprächtige Nonsens-Show mit Indiemusik…) Aber sowas subversives wird nur auf schwachen Frequenzen im städtischen Raum übertragen. Und da gehört “in der Nähe von Heilbronn” wahrlich nicht dazu.
Soweit Björns kleiner Einblick in die Radiogeschichte Südwestdeutschlands am Freitagmorgen.
2. March 2007 at 5:16 PM
Ich sag nur “Stahlwerk” (“Soundgarden” am Sonntag, für die, die vielleicht zur Gründungszeit auf Bands wie eben Soundgarden standen). Über 3-4 Jahre verging kaum ein Wochenende, an dem ich dort nicht Eintrittskarten gewonnen habe. Erinnerung … Zeena
3. March 2007 at 2:24 AM
Aber, Senor Grau, es waren schöne Zeiten mit SWF3 damals. Zwei Fraktionen gab’s im Ländle, diejenigen welchen, denen nur SWF3 und jene, denen nur SDR3 aus den feisten Mono-Ladio-Boxen tröpfelte. Mischehen oder gar Frequenzenwechsler gab’s gar selten. Halt nein, ich lüg mir hier was zusammen, tststs! Natürlich musste man im Auto wechseln, da man dem Radio sozusagen “hinterher gefahren” ist, ein Bundesland und der Lieblingssender in jedem Kaff auf einer anderen Frequenz, ätzend das. In meinem Heimatörtchen überschnitten sich zwei Frequenzen sogar, 94,3 und 98,4. Mal war die eine, mal die andere kräftiger.
Aber der Herr Grau hat natürlich Recht, musiktechnisch war SWF3 nich der burner, aber die Moderatoren Ende der 80er, Anfang der 90er: erste Sahne. Mit Spaß dabei, aber den Hörer ernstnehmend, kein wildes Rumgedutze und so, immer wieder herrlich ironisch und Sonntags, ja Sonntags gab’s für mich nur “Die Elmi Radio Show”. So schlecht Elmar Hörig im Fernsehen und auch jetzt bei Radio Regenbogen ist, so genial anarchisch war damals bei SWF3. Mammamia, grad kommts mir: ich kann die Telefonnummer von SWF3 immer noch: 07221/2011, die “zwanzigelf in Baden-Baden”, seufz. Muss ich mir Gedanken machen?
Andreas
Eine Kostprobe hab ich auf die Schnelle nich gefunden. Dafür das:
http://www.radiopannen.de/mp3/vl014.mp3
3. March 2007 at 9:22 PM
der trevor-wilson-kumpel heißt im übrigen des squire…
4. March 2007 at 7:51 PM
des squire, natürlich!!!
Vielen vielen Dank, anne.
6. March 2007 at 10:21 PM
Also, ich glaub, da kann man schlicht sagen: Du und ich, wir sind komplett Ohrenverwandte!
A propos musikalischer Sozialisierung: Ich dachte erst, Du meinst es buchstäblich. Hat mich ein Freund neulich drauf gebracht – und vielleicht haltet Ihr mich jetzt für blöd, dass mir das nicht früher bewusst war: Wir finden die Musik gut, die wir gut finden, weil wir damit aufgewachsen sind: Dreiklänge, Harmonien aus Grundton, fünften, sechstem und wieder erstem Grundton (mein Klavierunterricht ist schon zu lange her, als dass ich mich hier musikgerecht ausdrücken könnte) …
Ich wollte eigentlich mal versuchen, mir ausschließlich die gräßliche 12-Ton-Musik anzuhören; eine Zeitlang. Und irgendwann wär ich dann 12-Ton-sozialisiert und würde Euch sagen können, welche der Passagen, die sich für Euch nach Krach anhören, besonders virtuos sind.
Allerdings empfände ich dann vielleicht stattdessen neuzeitliche okzidentalische Musik wie Ohrkotze (verzeihung, hab ein Äquivalent zu ‘Mundstuhl’ gesucht).
8. March 2007 at 8:53 PM
Zugegeben, Herr Stein, die Einleitung war eigenltich nur dazu da, um meine Hymne auf das Fritz der 90er Jahre nett zu untermalen. Und ein bisschen auch, um mal wieder die Arroganz des “Ich bin mit dem bundesweit bekannten, aber damals nicht überall hörbaren Fritz groß geworden” aufleben zu lassen.
Ein stück weit dürfte die Musik-Sozialisations-These aber in der Tat zutreffen. Ein Freundin bspw. hat eine 8 Jahre ältere Schwester und über sie schon in frühen Kindestagen Bekanntschaft mit der Musik der 80er gemacht, obwohl sie vom Alter her ein Kind der 90er sein müsste. Das prägt bis heute ihren Musikgeschmack.
Bei 12-Ton-Musik muss ich ja immer an Hartmut denken, der sich nach dem versehentlichen Hören eines modernen Popsongs immer gleich 2 Tage mit 12-Tonmusik geißelt.