Es ist keine Neuigkeit, dass Sprache ein Eigenleben hat. Ein Sprecher (oder ein Schreiber) hat eine Idee, eine Intention, und möchte diese Idee in Worten ausdrücken. Daraus entsteht eine Äußerung, die irgendwann einen Rezipienten, den Hörer oder Leser, erreicht. Dabei können Missverständnisse entstehen. Der Hörer/Leser versteht eine Äußerung anders als sie vom Sprecher/Schreiber gemeint war, legt eine andere Bedeutung in die Worte, nimmt die Äußerung ernster und fühlt sich persönlich angegriffen oder erkennt umgekehrt die wichtige Bedeutung für den Sprecher/Schreiber nicht.
Kommunikation von Angesicht zu Angesicht funktioniert nach demselben Prinzip wie auch Kommunikation über Schrift (egal ob es ein literarischer Text, ein Zeitungsartikel, ein Handbuch, ein Blogeintrag oder ein Kommentar ist). Die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht – nennen wir sie direkte Kommunikation – hat den unschlagbaren Vorteil, dass Missverständnisse schneller aus der Welt geräumt werden können. Wohlgemerkt können, nicht müssen. Der Sprecher sieht dem Hörer an dessen Mimik an, wenn es ein Problem beim Verstehen gibt. Ein Stirnrunzeln bzw. zusammengekniffene Augen deuten auf Unklarheiten oder ein Nicht-einverstanden-sein mit der Äußerung des Sprechenden. Geht es in einem Gespräch um Zwischenmenschliches, um verletzte Gefühle des Sprechers und blickt der Hörer beschämt zu Boden, kann der Sprecher davon ausgehen, dass dem Hörer klar geworden ist, dass er dann jetzt mal Scheiße gebaut hat. Die Gestik und Mimik bilden einen Kontext bei jedem Gespräch, der Einfluss auf den Verlauf nimmt. Ebenso haben die Gesprächspartner schneller die Möglichkeit, Missverständnissen zu begegnen, indem sie – rein zeitlich gesehen – sofort sagen können: “Halt, du hast das-und-das falsch verstanden.” oder “Warte mal, du meinst das so-und-so?” Das alles setzt natürlich auch eine gewisse soziale Kompetenz bei den Gesprächspartnern voraus, auf den Gegenüber achtzugeben und die eigene, innere Reaktion und Meinung zu beobachten und zu benennen.
In der schriftlichen Kommunikation fehlen die beiden Aspekte Gestik/Mimik sowie direkte Antwortmöglichkeit. Schriftliche Kommunikation macht das Eigenleben von Sprache um einiges deutlicher. Der Schreiber hat eine Idee und fängt an zu schreiben. Dabei ist er auf sein eigenes Wissen um Sprache und ihre Wirkung “beschränkt”. Der Schreiber – wie natürlich auch der Sprecher – hat dabei zunächst nur die Worte zur Hand, die in seinem aktiven Wortschatz vorhanden sind. Der Schreiber hat meist mehrere Varianten, eine Idee zum Ausdruck zu bringen. Ein Text kann z.B. dezidiert polemisch oder provokant, differenziert und sachlich oder auch direkter Ausdruck der eigenen Gefühle sein. Ein Text kann genausogut auch nur der schnell dahingeschriebene Ausdruck eines Geistesblitzes sein, ohne dass darüber weiter nachgedacht wurde. Sitzt der Schreiber vor seinem Blatt Papier oder seinem Rechner, kann er darüber nachdenken, welche Wirkung seine Worte hervorrufen. Je nachdem wie wieviel Erfahrung mit Worten und deren Wirkungen der Schreiber hat, kann er abschätzen, wie sein Text ankommt, welche Emotionen hervorgerufen werden könnten – ob ein Satz z.B. Lachen oder Wut hervorruft.
Doch bei aller Sprachkompetenz kann der Schreiber eines nur sehr bedingt wissen: welche (emotionalen) Assoziationen ruft ein Text im Leser hervor.
Jedes Wort hat seine eigentliche Bedeutung (die Denotation), eine Art kulturelle, übertragene, metaphorische, uneigentliche Bedeutung (die Konnotation) UND eine ganz persönliche Bedeutung (die Assoziation). Als Standardbeispiel muss hier wieder einmal die arme, kleine rote Rose herhalten. Ihre denotative Bedeutung ist ganz simpel die der Blume. Die konnotative Bedeutung ist die der Liebe. Unzählige Filme, Bücher und Blumenbedeutungsratgeber haben diese kulturelle Bedeutung für jeden von uns festgeklopft. Die persönliche Assoziation kann mit der kulturellen Bedeutung einhergehen und z.B. mit der Erinnerung an einen Liebhaber positiv verknüpft sein. Die persönliche Assoziation kann aber auch, ganz im Gegenteil, die Bedeutung von Kitsch und einem Zuviel an Pathos haben, was zu einer ablehnenden Haltung führt.
In der direkten Kommunikation kann eine Assoziation sofort in das Gespräch eingebunden werden, d.h. thematisiert und erklärt werden. In der schriftlichen Kommunikation geht das nicht bzw. eben nicht sofort. Eine Besonderheit ist hier, dass beim Leser mehr Zeit da ist, in der der Text wirken kann, ohne dass der Schreiber auf die Wirkung Einfluss nehmen könnte. Hinzu kommt, dass Schrift nur bedingt den Kontext Gestik/Mimik in sich aufnehmen kann. Emoticons helfen dabei. Bestimmte Schreibweisen helfen dabei, wie z.B. eine überzogene, polemisierende Darstellung. Diese wird aber vom Leser nur dann als solche erkannt, wenn es eine allgemein bekannte und anerkannte Art und Weise des sachlichen Darstellens gibt, von der sich die polemisierende Schreibweise abheben kann, und diese muss dem Leser auch geläufig sein. Des weiteren ist bei schriftlicher Kommunikation oft das Problem, dass Gedanken zu kurz dargestellt werden. Eine kurze, phrasenhafte Äußerung, wie sie in Kommentaren oft vorkommt, kann schnell als “Friss oder stirb!”-Äußerung aufgefasst werden. Oder einzelne Gedankenschritte werden übersprungen, weil sie dem Schreiber als selbstverständlich vorkommen. Fast ebenso oft kann der Leser aus dem Kontext die übersprungenen Gedankenschritte herleiten. Manchmal muss der Leser raten und liegt dabei richtig. Manchmal aber muss der Leser raten und liegt dabei falsch. Und an wieder anderen Stellen erkennt der Leser nicht, dass Gedankengänge fehlen. Kann es vielleicht auch gar nicht erkennen, weil die in der Schrift festgehaltenen Argumente für sich bereits Sinn ergeben. Dann ist Missverstehen die Folge.
Heißt das jetzt aber, dass schriftliche Kommunikation grundsätzlich und immer zum Scheitern verurteilt ist? Mitnichten! Denn dann wäre auch direkte Kommunikation immer zum Scheitern verurteilt. In beiden Fällen aber gibt es genügend Beispiele geglückter Kommunikation. In beiden Fällen gibt es die Möglichkeit, nachzufragen, Unklares zu beseitigen. Das Wissen darum, dass Sprache eine Wirkung haben kann, die der Sprecher nicht intendiert, hilft bei der Klärung von Missverständnissen. Wenn beide Kommunikationsteilnehmer denn gewillt sind, diese verschiedenen Wirkungsweisen als existent anzuerkennen. Das allerdings ist eine Form sozialer Kompetenz, die in keiner Form von Schrift festgehalten werden kann.
10. March 2008 at 2:10 AM
Auch wenn ich die Dinger eigentlich nicht mag, Emoticons haben mir bei sowas schon öfter weiter geholfen: Gerade bei Einzeilern, die meinerseits ironisch gemeint sind, aber vom Gegenüber eventuell anders wahrgenommen werden könnten, ist ein “;-)” zumindest ein Ansatz.
10. March 2008 at 2:37 AM
emoticons, hhm …
ich finde ja manchmal, daß sie die sache eher verschlimmern als entschärfen. wenn etwas deutlich zu weit geht (für mich – assoziation?), und dann so ein smiley hinterhergeschoben wird, dann ist die wirkung manchmal eher die, die eine eiskalt lächelnd verabreichte ohrfeige hat.
10. March 2008 at 3:52 AM
Zugegeben, ja. Aber lässt sich Ironie, Sarkasmus, Humor dann überhaupt noch anwenden? Ich mein, ich kann nicht in jeden Kopf reinschauen, müsste mir also jedesmal meine Gedanken machen, und selbst dann kann ich eine mögliche Assoziation nicht vollständig ausschließen. Klar, wo ichs weiss, lass ichs auch nicht darauf ankommen, aber das ist eben nicht bei jedem der Fall.
Mich erinnert diese ganze Diskussion im Moment ohnehin ein wenig an den Bloggers Code of Conduct, den Tim O’Reilly letztes Jahr ausrufen wollte, und den ich ehrlich gesagt etwas lächerlich fand. Kommentare leben teilweise auch von einer gewissen Bissigkeit, ein wenig Angriffslust, ein bisschen Kontroverse, für mich muss nicht immer alles Friede Freude Eierkuchen sein, solange man trotzdem bereit ist, sich darauf einzulassen. Und solange dabei keine Grenzen überschritten werden – siehe oben, ich halt meine Klappe wenn ich Hintergründe kenne – habe ich damit eigentlich kein Problem. Und nachfragen kann man ja immer noch.
10. March 2008 at 12:03 PM
Da fällt mir noch etwas anderes ein.
Das interessante an schriftlichen Äußerungen ist, dass sie als unumstößliche, gut durchdachte bzw. intendierte Aussage wahrgenommen werden. Das aber ist gerade beim Sprücheklopfen ja dann doch eher selten der Fall. Es passiert mir so oft, dass ich Kommentare lese und mir denke: Dieser Mensch hat doch keinen Meter über seinen Satz nachgedacht.
Bei den Smilies muss ich auch immer an eine Erkenntnis vom Spreeblick-Johnny denken: immer lieber eines mehr reinsetzen.
Und es ist überhaupt nicht nötig, gleich alles in Frage zu stellen. Schließlich wird Ironie in der direkten Kommunikation auch oft genug nicht erkannt. Da kommt dann wieder der “benefit of the doubt”-Aspekt zum Tragen. Demgegenüber einen Verhaltenskodex festzulegen, halte ich für unnötig und vor allem auch für nicht durchsetzbar.