Eine Unterhaltung auf Twitter trägt sich derzeit zu, die es mir mittlerweile unmöglich macht, sie in 140 Zeichen weiterzuführen. Auf meine Aussage “beginne, die kommunikation per mobiltelefon als veraltet und umständlich zu verabscheuen.” erhielt ich folgende Antwort von @mathematikos: “die sprache ist das haus des seins (heidegger)#schrägsinn”.
Mir gefiel und gefällt der Satz Heideggers. Bringt er doch ganz wunderbar mein derzeitiges Erleben von Sprache und den Kanälen, in denen ich sie kommuniziere, zum Ausdruck. Doch halt! “Sprache und Kanäle, in denen”? 2 getrennte Dinge? Nee, irgendwie nich. Der Kanal Twitter zum Beispiel, mit seiner Begrenzung auf 140 Zeichen, bringt neue Erscheinungsformen von Sprache mit sich. Der durch das Rautezeichen gesetzte (Eigen-)Kommentar ist eine Einordnung der soeben getätigten Äußerung auf einer Metaebene – ein Kommentar eben. Typographisch ist er immer noch der Äußerung nebengestellt. Aber der Kommentar kommt in neuem Gewand daher. Das Anzeigefeld bei Twitter benötigt eine Abgrenzung mit einem Sonderzeichen. Der klassische Text im Seitenrand oder gar auf den hinteren Seiten eines Buches ist nicht mehr möglich. Hinzu kommt eine zweite Verwendungsweise der Raute, nämlich die der Marginalie. Das ist in einem Buch eine Art Zusammenfassung oder ein Oberbegriff o.ä., das im Seitenrand neben dem Absatz steht und damit den Gesamttext leichter erfassbar machen soll. Sehr beliebt ist dies in u.a. Schulbüchern. Auf ihre Weise ist auch die Marginalie ein Kommentar, wenn auch eher ein zusammenfassender. In Twitter hat sich mit dem Rautenzeichen eine neue Form der Kommentierung entwickelt. Zynisch-ironische Kommentare bspw. werden hierüber verschriftlicht, wie sie bislang in dieser Kürze nur über die Mimik und den Tonfall des Sprechenden erkenn- und verstehbar war. Eine andere, zusammengewürfelte Sprache ist entstanden.
Zurück zu “die sprache ist das haus des seins”. Das Haus ist Twitter, die Sprache sind die Zeichen, die wir dort verwenden und das Sein… äh ja… ist halt das Sein. Worauf ich hinauswill, ist nicht der Kommentar “#schrägsinn”. Den habe ich in der Verwendung bei mathematikos bislang noch nicht so ganz durchschaut. Was aber auch egal ist, denn es geht mir um “die sprache” und “das haus”. Twitter, Skype, Email, Mobiltelefon. Das sind viele Häuser, in denen sich viele Sprachen tummeln (für die Literaturtheoretiker und Linguisten: Sprache im Sinne von parole). Jeder dieser Kommunikationskanäle hat seine Besonderheiten, seine pragmatischen Vor- und Nachteile in der eigenen Lebens- und Arbeitsgestaltung. Pragmatische Bedeutungsteile gehören ebenso zum Sprachsystem (im Sinne von langue) wie die eigentliche Wortbedeutung. Daraus ergibt sich, dass es im Gebrauch nicht die eine Sprache und viele Häuser gibt, sondern viele Sprachen (im Sinne von parole) und viele Häuser und dabei greifen Sprache (parole) und Haus immer ineinander. Und darum gilt: “einige häuser sind mir lieber als andere”.
7. October 2009 at 5:31 PM
hey.
was den “schrägsinn” anlangt: in der tat ist dieser term eine wildcard in dem von mir gewählten kontext, wie ja überhaupt unser heißgeliebter wortspielkanal twitter sich anmutig tangential an die wirklichkeit anlegt, teils, um sie zu schaffen, teils, um sie zu dokumentieren. insofern darf/soll “schrägsinn” eine art einfügemarke für eigenes denkmaterial sein.
aloha und twittwit, werner