“Train on the Brain” von Alison Murray, via minds delight
Zugfahren. Es gibt nichts geileres auf dieser Welt. Ok, ich bin noch nie mit ‘nem Fallschirm irgendwo rausgehopst, das ist vermutlich noch viel süchtigmachender. Aber Zugfahren. Dieses in der Nicht-Bewegung bewegtsein. Du stehst irgendwo rum, an dir ziehen Landschaft und Städte vorbei. Nichts geileres. Und selbst, wenn du mal aufstehst und ein bisschen rumläufst, geht draußen trotzdem alles weiter.
Wir sind früher immer mit’m Zug nach Leipzig, Prag und an die Ostsee gefahren. Erinnert ihr euch noch, damals konnte man noch die Fenster aufmachen und sich die Nase vom Wind verwehen lassen. Ich kleiner Steppke hochgehoben oder auf’n Koffer gestellt. Meine Mum stand damals immer rauchend am offenen Fenster. Diese Mischung aus frischer Luft, frischem Rauch, jahrzehntelang abgestandenem Rauch und Schweiß im Abteil, dazwischen immer wieder Kuhmist.
Irgendwann hörte das mit den offenen Fenstern auf. Drecksbahn. Dreckssicherheitsbestimmungen. Drecksordnungsfanatiker. Oder was auch immer die Gründe sein mögen, die uns heute hier in diesem Land hinter geschlossene Fenster und Türen verbannen. Eingeschlossensein wird uns vor dem Untergang auch nicht retten.
Letztes Jahr endlich wieder Züge mit Fenster, die man öffnen kann. Und diesmal sogar die Türen. Während der Fahrt. Du sitzt auf den Treppen, beugst dich nach vorn, schaust links und rechts. Der Wind, der Wind, das himmlische Kind. Bekloppter Spruch, zu Schulzeiten und durch bildungsbürgerliche Angeberei verleidet. Aber soviel Wahrhaftigkeit. Der Wind ist das, was Zugfahren zu dem macht, was es sein soll. Der Himmel auf Erden. An der Draußenluft (frisch trifft’s ja auch nicht immer) der Blick auf die Weite.
Aber machen wir uns nichts vor. 40 Stunden im Zug und du küsst den Boden, auf den du am Ende treten wirst. Immer nur den schmalen Gang entlanglaufen, macht dich kirre wie das “Lern was ordentliches, Kind”-Mantra. Und die große Kackscheiße beim Zugfahren ist doch die, dass du in exakt dem Moment nie da hingehen kannst, was du grade siehst und was so verlockend nach Erkundung schreit.
Und dennoch. Wenn du nach 16 Stunden und einer ruckeligen Nacht aufstehst, dich an die Tür setzt, der Sonne beim Aufgehen zuschaust, in tropische Wälder blickst, grün as grün can be, Kinder auf ihrem Weg in die Schule beobachtest, sie dich auf deinem Weg beobachten, der verdächtig nach Schokolade schmeckende Kaffee im kleinen 4cl Becher … Hammer!
Das sind die Momente, in denen sich bei mir gedanklich alles auf den Kopf stellt. Wo wahr werden darf, was ich sonst nicht zulasse. Oder wie die dragstripgirl-Sara schreibt “vielleicht einer, wo ich nicht mehr mit soetwas wie einem zu hause umgehen kann“. Der eine Ort. Der eine Freundeskreis. Der eine Job. Es ist wie eine monogame Beziehung. Nichts, was ich auf Dauer hinkriegen würde. Also bleibt nur das Reisen.
20. October 2010 at 12:01 AM
tolles foto. das mit den rausguckenden mädchen. das licht ist ganz zauberhaft.