Es ist einfach nur fucking erholsam, wieder in Indien zu sein. An den alten Bushaltestellen steht noch nicht mal dran, welche Linie hier lang fährt. Die Züge haben regelmäßig 3-6 Stunden Verspätung. Und wenn dein Zug doch mal pünktlich um 6 Uhr morgens ankommt, wirft das deine komplette Planung über den Haufen, direkt vom Bahnhof aus ein paar Sachen zu erledigen. Denn um sechs Uhr morgens passieren an der New Delhi Railway Station genau drei Dinge: die Riksha- und Taxifahrer belagern dich, weil sie sonst nichts zu tun haben (okay, das machen sie auch den Rest des Tages, weil sie scheiße nochmal ihr Geld verdienen müssen und morgens macht da keinen blassen Unterschied zu mittags oder abends, but what the heck), die U-Bahn ist bereits gut gefüllt mit Menschen, die mindestens 1 Stunde unterwegs zu ihrer Arbeit sind (letztes Jahr hatte ich eine Studentin, die jeden Morgen 2 Stunden unterwegs war) und Unmengen an Menschen warten vor dem Bahnhof auf ihren Zug (den Grund dafür habe ich noch nicht rausgefunden; vielleicht liegt es an den unberechenbaren öffentlichen Verkehrsmitteln und/oder der Tatsache, dass sie von sonstwoher kommen und den Puffer an ‘Bus kaputt’/’1 Bus/Zug später wäre 1 Tag zu spät’/ whattheheckdoiknow einkalkulieren müssen; vielleicht sind sie aber auch ohne Ticket zum Bahnhof gekommen und haben erst eins für den nächsten Tag bekommen.).
Wieder in Delhi sein. Am letzten Abend in Berlin saß ich mit meinem Mitbewohner bei einem Joint beisammen und er fragte mich, ob ich aufgeregt sei. Die Frage stellte ich mir schon davor. Interessanterweise war ich es nicht. Ich fahre ja nur ein paar Freunde besuchen. Der aufregendste Part bestand und besteht darin, dass ich jetzt im Norden Delhis wohne. Und damit eine komplett andere Welt dieser Stadt nochmal näher kennen lerne. Nord- und Süddelhi haben soviel miteinander gemeinsam wie Berlin und Stuttgart. Der Süden besteht aus Wohnvierteln, die in den letzten 4-5 Jahrzehnten rund um ein paar annektierte Dörfer gebaut wurden. In den Sarais kann man die alten Bauweisen, die engen Gassen, das Leben auf der Straße noch finden. In den Wohnvierteln, meist mit einer Mauer von den großen, dazwischen reingezogenen Verbindungsstraßen abgetrennt, gibt es ein paar Shops mit den wichtigen Sachen zum Leben und das war’s meist. Die schickeren Viertel mit Eigenheimen hier. Die Mehrfamilienhäuserreihen dort. Aber fast überall die Toreinfahrt, die nachts geschlossen und den gesamten Tag über mit Guards ausgestattet sind. Auf der Straße sonst nur die, die die dort auch leben.
Im Norden findet man Toreinfahrten ebenso, jedoch weitaus seltener. Und die Guards fehlen. (Außer an den Eingängen zu den University Hostels, aber das ist sowieso ein ganz anderes Thema. Beim International Women’s Hostel müssen die Mädels bis neun oder zehn Uhr abends zurück sein, hab vergessen wann genau. Wollen sie bis elf Uhr draußen bleiben, müssen sie das bis neun Uhr beim Guard gemeldet haben, jepp, daran kann ich mich ziemlich genau erinnern.) Aber zurück zum Norden. Die Häuser sind hier näher an der Straße. Wenn kein Shop unten im Haus drin ist, gibt’s zwar immernoch einen mindestens zwei Meter hohen Zaun, um die Terrasse im Erdgeschoss von außen abzuschirmen (ja, der private Raum ist hier wirklich privat), aber das Feeling ist ein anderes.
Wenn ich weiter drüber nachdenke und mir Old Delhi vor Augen führe, ist es fast eine Bewegung hin zum verschlossenen kleinen privaten Raum, bei der Arbeit und Leben mehr und mehr getrennt werden. Alt-Delhi besteht fast vollständig aus engen und nicht ganz so engen Gassen, in denen der Profession gemäß die Läden angeordnet sind. Hier die Straße mit den Papiermachern. Dort die Straße mit den Ersatzteil- und Werkzeugverkäufern. Da hinten die Textilgasse, dicht gefolgt von den Juwelieren. Zwischendrin gibt es die Straßen, in denen nichts ist, nur Zugänge zu den privaten Häusern. Die Blicke, die dich hier verfolgen, lassen dich genau spüren, dass du da vorne falsch abgebogen und als Tourist hier gerademal toleriert wirst. Aber es sind wenige. (Ihr ahnt es, mein erstes Mal Old Delhi war ein laaanger Spaziergang.) Aber Old Delhi ist winzig. Ein paar Quadratkilometer mit der riesigen Jama Masjid und direkt nebendran dem Meena Bazaar auf nochmal ungefähr der gleichen Fläche. Der Norden entspricht dann schon mehr dem, was mir als Wohngebiet und Stadtaufteilung bekannt vorkommt. Ein paar klassische Einkaufsstraßen hier, ein Shoppingviertel da, dazwischen die Ecken, wo eher gewohnt wird. Der Süden hingegen ist noch stärker aufgeteilt. Die Wohnviertel sind häufig Wohnviertel, bei denen man froh sein kann, wenn in Laufweite ein paar kleine Shops mit dem Notwendigsten da sind, wie Vasant Vihar, Munirka oder dieses Polizei-/Staatsbedienstetenviertel kurz vorm Regierungs- und Botschaftsviertel. Häuserreihe um Häuserreihe und zwischendrin auf relativ klar begrenztem Gebiet der Markt.
Soweit zu meinem Außenblick. Dem Blick eines Menschen, der nur mittel- und nordeuropäische Städte und Dörfer kennt. Dem Blick eines Menschen, der vom brandenburgischen Strausberg nach nebenan ins große Berlin gezogen ist (mit all seinen unterschiedlichen Vierteln) und alles andere von diesem Planeten nur aus Zeitschriften, Kino und dem Fernsehen kennt.
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