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Eine Bombenwarnung und ein Jahrhunderte alter Streit.

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Der letzte Tag in Varanasi. 18:30 Uhr. Wir stehen am Bahnhof und warten auf den Zug nach Delhi. Der erste Anruf. Es gibt eine Bombenwarnung für Varanasi. Kurz innehalten, kurz nachdenken. Wenn, dann an den Ghats, direkt am Ganges. Alles andere würde keinen Sinn machen. Dort sind die meisten Menschen unterwegs. Dort ist die Symbolik am stärksten. Diejenigen unter uns, die schon länger in Indien sind, reagieren fast belustigt. Ach, Warnungen gibt’s hier doch eh alle Nase lang.

30 Minuten später klingeln die Telefone im Sekundentakt. Es gab eine Explosion an einem der Ghats. Wir vermuten den Main Ghat. Um diese Uhrzeit findet dort jeden Abend eine Zeremonie statt. Mehrere Tausend Besucher. Und genauso war es. Reihum werden die beruhigenden Nachrichten in den Norden des Landes geschickt, dass wir im Zug sitzen und alles ok ist. Der wacklige mobile Internetzugang gibt die ersten Meldungen aus. 20 Verletzte. Zehn Minuten später die Meldung, dass ein Kind an den Verletzungen gestorben ist.

Die Ghats sind Treppen, die von der etwas höher gelegenen Stadt bis in den Ganges hinein reichen. Es sind die Orte, an denen die Gläubigen Hindus sich selbst und ihre Kleidung in der heiligen Mutter reinigen. Am Main Ghat versammeln sich abends die Menschen, um einer Zeremonie des Lichts beizuwohnen. Es ist die größte Treppe in der Stadt und ist an der Promenade gute hundert Meter breit. Irgendwo an dieser Treppe haben die “Indian Mujaheddin” einen Sprengsatz gezündet. Der Knall und umherfliegende Steine haben eine Panik ausgelöst, bei der die meisten Leute verletzt wurden. Irgendjemand spricht den unvermeintlichen Satz aus: “Gestern waren wir noch… Wäre unser Zug heute nur 2 Stunden später…”

Auf eine beunruhigende Art und Weise berührt mich diese Vorstellung fast gar nicht. Ich bin fast ein bisschen enttäuscht. Ich würde gern mal mich selbst und die anderen dabei erleben, wenn eine Explosion stattfindet. Du stehst mittendrin oder am Rande oder so halb dazwischen. Der Schreck, das Wegrennen, die Massendynamik. Was sind die eigenen Gedanken. Welcher Ausdruck ist in den Gesichtern der anderen Menschen zu lesen. All das.

Die “Indian Mujaheddin” sind eine islamische Gruppe, die mit der Explosion ihren Unmut über das Urteil zur Babri Masjid zum Ausruck gebracht haben. Die Kurzform: A-Hörnchen nimmt B-Hörnchen sein jahrtausende altes Spielzeug weg, weshalb das B-Hörnchen dem A-Hörnchen sein neues, mittlerweile ein paar hundert Jahre altes Spielzeug jetzt auch wieder kaputt macht und infolgedessen den halben Kindergarten auf den Hades zum Weiterspielen schickt. Und weil A-Hörnchen und B-Hörnchen sich nicht vertragen können, ist C-Hörnchen jetzt auch beleidigt, weil D-Hörnchen es keinem Recht machen kann. Ja, das ist alles so bitter, dass nur noch Satire hilft.

Die Langform: Ayodhya ist ein Ort im Bundesstaat Uttar Pradesh, mit 200 km quasi um die Ecke von Varanasi. In Ayodhya gibt es den Ramkot Hill bzw. die Ram Janmabhoomi, die als Geburtsort des Hindu-Gottes Rama gilt. Seit 1527/28 steht auf eben diesem Ramkot Hill die Babri Masjid, erbaut vom ersten Mughal-Kaiser als er dabei war, Indien zu erobern. Es ist unklar, ob dort vorher ein Tempel für Lord Rama stand, der von den Mughalen zerstört wurde. Und genau darum dreht sich seit 500 Jahren der Streit. Die einen behaupten, der Geburtstort sei doch eigentlich ein paar Meter weiter weg gewesen. Die anderen sagen, ist egal, dort war ein Tempel, der zerstört wurde. Im 20. Jahrhundert gab es unzählige Petitionen, Kampagnen, Gerichtsverhandlungen und was nicht alles um eine Klärung herbeizuführen. Die Stimmung heizte sich so sehr auf, dass 1992 eine Meute von 150.00 Hindus bei einer religiösen Kundgebung, die von der rechtskonservativen BJP unterstützt wurde, die Babri Masjid zerstörten. In den folgenden Monaten kam es zu krassen Ausschreitungen in nordindischen Städten, bei denen Hindus und Muslims gegenseitig ihre Häuser verbrannten, Läden plünderten und sogar Menschen auf die Straße prügelten und anzündeten. Die Spirale, schon lange am Drehen, drehte sich weiter. Unzählige Bombenanschläge, ein Brandanschlag auf einen Zug, alles was seitdem passierte und direkt gegen Hindus und/oder Muslims gerichtet war, hat in der Geschichtsschreibung die Zerstörung der Moschee und den Streit um den Ort als Ursache. (Das war jetzt die kurze Langform. All die kleinen Verstrickungen und Motivationen auf die Reihe zu kriegen, erfordert weit mehr.)

Direkt im Anschluss an die Zerstörung 1992 wurde ein Untersuchungskommittee eingerichtet. 17 Jahre später hat es seine Arbeit für beendet erklärt und die Unterlagen an den Allahabad High Court gegeben. Am 30. September 2010, 60 Jahre nachdem die ersten Klagen eingereicht wurden, wurde das Urteil gefällt, das umstrittene Land dreizuteilen. Ein Drittel geht an den von Triloki Nath Pandey vertretenen Ram Lalla, ein Drittel an die Nirmohi Akhara, ein Drittel an die Muslims. Ram Lalla ist die Wiedergeburt von Ram als Kind und soll jetzt einen neuen Tempelbau erhalten. Triloki Nath Pandey ist der “sitting deity” (sitzende Gottheit), eine Art irdischer Vertreter und gleichzeitig Mitglied in der hindunationalistischen Partei RSS. Die Muslims sind vertreten durch das Sunni Central Waqf Board, ein von der indischen Regierung legitimierter und offenbar gemäß den islamischen Traditionen bestehender Verband, der die öffentlichen muslimischen Besitztümer verwaltet. Und die Muslims haben eben seit dem 16. Jahrhundert ihre Ansprüche auf das Land. Die Nirmohi Akhara wiederum sind eine religiöse Gruppe, die diverseste Tempel in ganz Indien besitzt und seit dem 19. Jahrhundert Ansprüche auf das Land verteidigt.

Soweit, so klar, so eindeutig? Au contraire. Es nimmt kein Ende. Das Sunni Waqf Board hat im Dezember den Fall nun zum Supreme Court in Indien gebracht. Wenn man sich die Artikel in der Frontline und allgemein die Reaktionen auf das Urteil so durchliest, fragt man sich, was in den letzten 20 Jahren eigentlich passiert ist. Das Urteil sollte ein Kompromiss sein. Es ist ein Kompromiss, den kaum einer akzeptieren will. Historiker beschweren sich, dass die archäologoschen Ergebnisse, die Tempel und Geburtstort am Ort der Moschee sehen, keineswegs wissenschaftlich seien. Die Richter sollen ihr Urteil basierend auf Glauben und Religion getroffen haben, was dem Selbstverständnis des pluralistischen, demokratischen Rechtsstaates Indien widerspricht. Dem Sunni Qaqf Board und den Nirmohi Akhar ist das zugeteilte Land zu klein, um darauf jeweils eine Moschee bzw. einen Tempel zu bauen, die dann wiederum genügenden Abstand zur jeweils anderen Stätte hat. Die Anwohner befürchten unisono neue Konflikte.

Und genau das brachte der Abend des 7. Dezember 2010.

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