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Liebe Leute, Viele Grüße, miss sophie

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Jungs! Bitte nicht übel nehmen. Ich lebe hier jetzt nur mal kurz meine Sprachneurose aus.

“Mein liebes Fräulein!” Die Ladies unter uns mögen diesen Satz – ausgesprochen mit warnend-säuerlichem Oberton – von ihren Eltern kennen. Wir haben uns mal wieder nicht an unsere Genderrolle gehalten und waren alles andere als lieb und brav. Waren, wie alle Kinder, vielleicht trotzig, weil es nicht nach unserem Willen gehen wollte. Vielleicht haben wir aber auch gerade wieder eine Grenze ausgetestet. Den lachenden Blick immer aufs Gesicht von Mama und Papa gerichtet, um zu sehen, wann jetzt wirklich gut ist. “lieb” ist das genaue Gegenteil seiner Bedeutung gewesen.
Cut.
Schwenk ins Ferienlager. Eine Gruppe Kinder/ Jugendlicher und eine Aufsichtsperson. Sagen wir, sie sind alle in einem Museum. Die Kinder/ Jugendlichen machen so ihr Ding, laufen herum, treiben Späßchen. Der Geräuschpegel steigt. Die Aufsichtsperson, vorzugsweise weiblich, ist eigentlich eine Gute. Sie ist meist ausgeglichen und immer höflich. Muss sie doch einmal erzieherisch eingreifen, ist Schritt 1 weiterhin höflich, wenngleich mit angehobener, zukünfitgen Zorn andeutender Stimme: “Liebe Leute! Ruhe da hinten!” Ist klar, dass sie alles andere als lieb waren in dem Moment.
Cut.
Schwenk in die Vorbereitung einer Einführungswoche für Erstsemestler. Das “Liebe Leute”-Trauma hat seine Spuren bereits tief in meiner Sprachneurose hinterlassen. Doch wer konnte es ahnen, da war noch Platz für mehr. Wir also alle in der Planung. Kopf der Orgagruppe war – fuck! Name vergessen. Egak. Nennen wir sie – Kristina Wegner. Kristina Wegner war der Typ erfolgreiche Studentin, die Karriere fest geplant, in langjähriger Beziehung, und dabei für keinen Spaß zu haben. Jeder Scherz während der Planungen wurde mit unverständnisvoll-genervtem Blick quittiert, die Organisation generalstabsmäßig durchgezogen. Sie führte sich immer auf wie eine Aufsichtsperson, die eine Gruppe wildgewordener Jugendlicher hüten muss. Oh, ich vergaß zu erwähnen, dass sie Lehramtsstudentin war. Die armen Schüler… Wieauchimmer. Ihre Mails begannen mit: “Liebe Leute”. Das Trauma nahm seinen Lauf…

Kommen wir zu “Viele Grüße”. Ich hab keinen blassen Schimmer, wann diese Abschiedsformel seinen Weg in den Sprachgebrauch gefunden hat. Anfänglich las ich es im Kontext freundschaftlich-kollegialer und darum immer noch so vierteloffizieller Emails. “Mit freundlichen Grüßen” und selbst die Kurzform “MfG” ist eindeutig dem Business und damit einem offiziellen Rahmen vorbehalten. Im privaten finden sich Formulierungen wie “Gruß” oder “Liebe Grüße”. Und dann gibt es den Raum dazwischen. Man hat in einem irgendwie geschäftlichen Rahmen miteinander zu tun oder arbeitet an der Uni zusammen. Man findet sich sympathisch, ist vielleicht sogar gleich alt und teilt in jedem Falle die gemeinsame Abneigung gegen das “mit freundlichen Grüßen”, das ja viel zu altbacken klingt. Hier nun also die Wahl zwischen “Beste Grüße” und “Viele Grüße”. So zumindest habe ich es kennengelernt: “Viele Grüße” im Kontext (vorzugsweise akademischer) nicht-privater, aber dennoch Sympathie und Freundschaftlichkeit ausdrückender Emails.
“Viele Grüße” hat ja tatsache einiges für sich. Ein lakonisches “Gruß, yxz” mag abschreckend und etwas zu kalt wirken. “Viele Grüße” hingegen legt mehr Effet in die ganze Sache. Aber irgendwie wirkt es auf mich immer semantisch-sprachstrukturell falsch. Irgendwas stimmt daran nicht. Fragt mich aber bloß nicht, was. Hinzu kommt die Wahrnehmung, dass es in einem vierteloffiziellen Rahmen gerne auch nach Verlegenheitsformulierung klingt, weil “Beste Grüße” auch schon wieder zu offiziell, aber “Liebe Grüße” einfach viel zu privat ist. Deswegen bin ich immer reichlich verwirrt, wenn ich “Viele Grüße” am Ende einer Email von Freunden lese. Aber weiter weiß ich auch nicht.

Ich leg mich jetzt einfach auf die Couch, kurier meine Sprachneurose aus und ihr achtet nicht auf mich. Deal?

9 Comments

  1. Schuldig im Sinne der Anklage. Auch Auslöser?

  2. Ach, du liebes Lieschen.
    ;)

  3. @jeriko aktuellster auslöser, ja , aber nicht der einzigste :).
    das treibt mich schon seit gut einem jahr um, weil’s doch häufiger mal vorkommt. in solchen momenten wünsche ich mir, mehr menschen würden sich trauen, sätze aus dem mündlichen alltag in emails zu nutzen.

  4. “einzigster” WAAAAAHHH!

    ;-)

  5. Zufällig (ich glaub über Twitter) hier gelandet.

    Ich gestehe, ebenfalls ein “Viele Grüße”-Schreiber im privaten Rahmen zu sein.

    Ein “Liebe Grüße” ist bei mir tatsächlich nur einem ganz kleinen Personenkreis vorbehalten.
    Wenn ich es schreibe, meine ich es ernst. Wenn ich es inflationär gebrauchen würde, würde es sich für mich verwässern.

    Grüße! (Ha!)

  6. @julie
    und der war mit absicht! :D

    @nele
    ahoi und herzlich willkommen!
    das ist eigentlich ganz gut so, wie du es machst. bei mir führt diese ja sehr notwendige trennung dazu, dass es sich richtung “liebe” und “liebste grüße” verschiebt. und wenn mir danach ist, dann gibt es auch gerne mal ein “ich umarme dich”/”ich drück dich” oder das gute, alte “hugs&kisses”.

  7. Irgendwo in diesem Kontinuum gibt es bei mir auch noch „lg“; „Liebe Grüße“ verwende ich tatsächlich nur sehr bewusst. Wenn ich mal nur „Grüße“, dann gehört da eigentlich noch ein angesäuertes Gesicht dazu.

    Ich denke ich werde „Viele Grüße“ mehr in meinen Wortschatz aufnehmen.

  8. Ich trenne nur zwischen der Geschäftsformel “Mit freundlichen Grüßen” und den privaten Formulierungen. Letztere sind mehr stimmungsabhängig, alsdaß sie Nähe ausdrücken.
    Das ist meine optimalste [brrrr] Lösung.

  9. Ich unterscheide da genauso wie Nele. Man hat mir mal erklärt “Beste Grüße” würde gar nicht gehen, das wäre wahnsinnig arrogant und würde ausdrücken, dass man den Empfänger als entweder dumm, unterlegen, untertan oder bescheuert hinstellt. Aha. Ist mir auch bis heute schleierhaft, wie man darauf kommt, aber ich benutze es trotzdem kaum noch.
    “Viele Grüße” – obwohl ich es wahrscheinlich mehrfach täglich schreibe – stößt mir auch immer wieder auf. Und ich glaube auch zu wissen, warum: “Viele” sagt offensichtlich nichts über die Qualität aus, ganz im Gegensatz zu allen anderen Formeln.

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