die katrin

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Der Weg des Internet. Eine Geschichte in Bildern.

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Dinge, die ich an Indien sehr gerne mag: Die Infrastruktur von Stadt tritt an ihrer Oberfläche in Erscheinung. Da fährt man so mit dem Zug am Stadtrand entlang, raucht genüsslich seine Zigarette an der offenen Zugtür und sieht plötzlich vor sich über mehrere hundert Meter die Abwasserrohre über Land gehen. Wohnt halt keiner da, also warum sich den Stress geben und extra den Boden aufreißen. Oder Fernsehkabel. Wand aufreißen? Achwas, die Fenster sind eh nicht dicht oder im Zweifelsfall gar nicht eingebaut, dann kann da auch einfach das Kabel zum Dach lang gehen. Oder auch die Straße zur Metro. Da guckt plötzlich mittendrin ein Stück dickes Rohr mit so einem Drehdings aus der Erde. Kommt man leicht dran, wenn mal was zu basteln ist. Irgendwie so wird der Hase hier laufen. Recht pragmatisch halt.

Das ist jetzt keine Besonderheit von Indien, sondern wohl mehr ein Phänomen, das mit technischem Fortschritt und Stadtentwicklung zusammenhängt. Jehr weiter die Zeit voranschreitet und je größer die Menschenansammlung, desto mehr wird unter die Erde verlegt. Mit den Telefonleitungen in kleinen D ist das ja auch nicht anders gelaufen. Aber genug halbeindrittelgares, kulturwissenschaftliches Geseier. Kommen wir zu den absurd-lustigen Momenten.

Neulich bezog ich das Apartment der Portugiesischlektorin. Sie hat Internet. So richtig echtes. Ich also voller Vorfreude den Laptop aufgeklappt, den Strom für die Steckdose angestellt, dem Modem bei der Einwahl zugeguckt und … ja, nichts. Es wäre zu einfach gewesen. Nur weil das WLAN-Lämpchen leuchtet, heißt das nämlich noch lange nicht, dass die IP-Vergabe auch planmäßig vonstatten geht. Die Routermodemdiva möchte gebeten werden. Den Blumenstrauß hab ich mir gespart. Ein paar Mal an und aus schalten haben auch gereicht. Ich hab sie auch einmal kurz gestreichelt und direkt im Anschluss beschimpft. Und siehe da: Teh internet was back wiz me.
der weg des internet - der router

Zu den Streicheleinheiten zwischendrin gehörte selbstverständlich auch die sorgsame Pflege der besten Freunde der Routermodemdiva. Also gucken, ob auch alle Kabel richtig fest sind. Diese Bastarde lösen sich auch hier oft genug von selbst aus ihrer Verankerung. Das kleine Ding hier ist der Splitter. Warum die Dinger bei uns so riesig sein müssen, ist mir seit diesem Jahr ein einziges Rätsel.
der weg des internet - der splitter

Aber sei’s drum. Stecker festgezurrt und weiter zur Telefondose an der Wand.
der weg des internet - zur wand

So dachte ich zumindest. Das Kabel läuft allerdings über der Klimaanlage (hier liebevoll AC genannt; die Inder stehen übrigens total auf Abkürzungen, aber das nur am Rande) in Richtung Balkon. An diesem Punkt wollte mich die Hoffnung auf eine Telefondose noch nicht loslassen. Ich wunderte mich also standesgemäß, ob die Dose auf dem Balkon angebracht worden sei und wie absurd das denn nun wieder sei. Aber Dinge, die anders sind, sind bei mir grundsätzlich auf eine herzliche Weise absurd und an Absurditäten übertrifft sich Indien immer wieder. Mit der gemeinen Gattung “westliche Ingenieurslogik” kommt man hier nur selten wirklich weit.
der weg des internet - über den ac

Während ich also verwundert die Balkontür öffnete und dem Kabel folgte, dass zwischen Fenster und AC raushing, musste ich breit grinsen, mir selbst einen Schlag auf den Hinterkopf verpassen (ihr wisst, die Sache mit der Denkfähigkeit) und mit einem weiteren Schlag war mir alles klar: Natürlich! Telefonkabel waren zur Zeit des Hausbaus noch nicht vorgesehen (oder zumindest nicht für den alltäglichen Hausgebrauch) und deswegen auch nicht in den Hausbau eingeplant. Und alles, was danach kommt, wird provisorisch rangepappt. Und bleibt dann halt so. Ist ja auch ziemlich einfach und ohne großen Aufwand umzusetzen.
der weg des internet - am balkon vorbei

Und dann hatten Entdeckungslust und pure, fröhliche Neugier genügend Raum, den Rest des Weges zu erkunden. Der Gebäudekomplex hier besteht aus vier Teilhäusern. Zuersteinmal treffen sich alle Telefon-/Internetkabel unseres Teilhauses am ersten Mast, werden zweimal rumgewickelt und festgeknotet, damit’s auch ja hält.
der weg des internet - zum ersten treffpunkt

Von dort geht es weiter zum zweiten Mast. Dort kommen noch ein paar Kabel aus den anderen Teilhäusern zusammen. Hier finden die ersten Vorbereitungen für die große Party statt.
der weg des internet - zum zweiten treffpunkt

Am eigentlichen Sammelpunkt ist dann Zeit zum Ausgehen. Alle machen sich nochmal hübsch, stellen sich in ungeordneten Zweierreihen auf und verschwinden.
der weg des internet - zur großen sammelstelle

An dieser Stelle endete mein Weg des Internets. Weiter kam ich nicht. Vermutlich haben die Telefonmenschen dann doch irgendwo ein Loch gebuddelt.

3 Comments

  1. Danke Dir, für das visuelle erfahrbare Internet. Fast zum Anfassen.
    Du siehst was, das wir nicht sehen. Jammerschade für unsereiner, dass wir den Weg der Datenströme nur noch als Input/Output-Selbstverständlichkeit wahrnehmen, während andere den Weg zum Ziel erklären.

  2. Netter Bericht. In Irland und USA sieht man stellenweise ähnlich abenteuerliche Verkabelungen. Und übrigens ist die Bezeichnung AC für Klimaanlage ganz üblich im englischen Sprachgebrauch und keineswegs auf Indien beschränkt. We like to call it A/C in the US, too.

  3. @miriam immer gerne. das wär doch fast schon ne schöne spiel/bastel-idee. einmal den kompletten weg des datenpakets nachzeichnen. auch als brettspiel denkbar. sie würfeln eine 6: heute ist ihr glückstag! ihr provider meint es gut mit ihnen und schaltet nach 3-monatigem warten endlich die 6000er-dsl-leitung. sie würfeln eine 1: möp! ihr datenpaket wurde gefressen. schicken sie ihre anfrage erneut los. …

    @sam dass ac odr auch a/c die standardbezeichnung ist (verwendet überhaupt irgendjemand außer den herstellern die langform?) wusste ich schon. das war mehr so ein halbherziger versuch, das detail der abkürzungsvorliebe einzubauen ;).

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