die katrin

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“Lass los! Komm, lass einfach los!”

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1. Mai in Berlin. Die abendliche Demo steht auf dem Programm. Ab 18 Uhr versammeln wir uns auf dem Kottbusser Damm vor der Ankerklause, lauschen den Reden und der Musik. Irgendwann geht es zügigen Schrittes los. Den Kottbusser Damm runter, vorm Hermannplatz links in die Sonnenallee, runter bis zur Fuldastraße, rechts rein und an Rathaus Neukölln und den Neukölln Arcaden vorbei, die Flughafenstraße hoch, links in die Hermannstraße, rechts in die Werbellinstraße rein. Das alles ohne große Verzögerungen. Wir waren relativ weit vorne. Ich konnte nicht genau sehen, wieviele Leute noch vor uns waren, vielleicht waren es um die 500-600, vielleicht auch mehr. Um uns herum war es ruhig. Von den eingeschlagenen Banken habe ich in dem Moment nichts mitbekommen.

Als wir in der Werbellinstr. am großen Lagerplatz der alten Kindl-Brauerei vorbeikommen, sehen wir hinter dem alten Brauereigebäude ein paar Mannschaften in grün hervorrennnen. Im Laufschritt halten sie auf die Straße zu. Das spricht sich rum. Der Demozug geht dennoch im zügigen Tempo weiter. Die ersten Steine und Flaschen sind in der Luft. Auf den Fußwegen sammeln sich immer mehr Einheiten. Ziehen an uns vorbei, lassen sich wieder zurückfallen. Die Spannung steigt, aber noch bleibt es ruhig. Unten an der Kreuzung zur Karl-Marx-Straße wird der Demozug gestoppt. Direkt hinter uns ist eine große Lücke in den Zug gerissen, die sofort von mehreren Einheiten gefüllt wird. Wie ich später hörte, standen am rechten Straßenrand zwei Nazis, die mit Hitlergruß die Aufmerksamkeit der nach uns Folgenden auf sich zogen.

Da standen wir also. Polizei um uns rum. Wir eng aneinander in der Kette. Insgesamt passierte an diesem Punkt wenig. Wir standen da, warteten, unterhielten uns darüber, was hier gerade der Stand war. Aber das was währenddessen passierte, war intensiv genug.
Einer dieser Momente: Ein paar Meter neben uns plötzlich und ohne ersichtlichen Anlass griff ein Polizist in schwarz in den äußeren Kreis der Menge und ging einem Mann an den Kragen. Dessen Reaktion war Überraschung und Ärger. Der Polizist wollte ihn offenbar rausziehen, provozierte, wartete auf irgendeinen Grund, um noch härter einzugreifen. Aber es gab keinen Grund. Der Mann blieb vergleichweise ruhig, seine Freunde standen ihm zur Seite, der Polizist ließ los.
Ein anderer Moment: Weiter vorne kam Unruhe in die Menge. Ich konnte von meinem Standpunkt aus nichts sehen und nur vermuten, dass ein paar Polizisten in die Menge drängten, höchstwahrscheinlich mit dem Ziel, ein paar Leute rauszuziehen, die Menge drängte noch enger zusammen. Wie gesagt, gesehen habe ich davon nichts. Aber ich habe die Gesichter der beiden Mädchen auf dem Balkon direkt vor dieser Szenerie gesehen. Ihre Neugier, gepaart mit leichter Belustigung, wandelte sich in blankes Entsetzen.
Danach kehrte wieder etwas Ruhe ein. Der eine oder andere Tabakbeutel wurde rausgeholt. Der letzte Moment: Ich stand zwischen zwei anderen Teilnehmern an hinteren Ende dieser Demogruppe. Wir lösten uns ein bisschen, standen nicht mehr ganz so eng gedrängt. Plötzlich ein Schlag von hinten. Ich wurde gegen die anderen geworfen. Ein Polizist zerrte an mir. Wie ich später erfuhr, hat er sogar seinen Arm um meinen Hals gelegt und mich auf diese Weise nach hinten gezogen. In diesem Augenblick seine Worte, nah an meinem Ohr, mit relativ ruhiger, gelassener Stimme: “Lass los! Komm, lass einfach los!” Ich brüllte noch lauter, um die Aufmerksamkeit der anderen Teilnehmer auf mich zu lenken. Ich ließ mich nach vorne fallen, den Kopf auf den Schultern der anderen, einzig und allein, damit meine Brille nicht runterfällt. Ein Arm legte sich um mich und hielt mich in der Menge. Irgendwann zwischendrin ein Blick nach rechts. Mindestens ein Polizist zerrte an dem Mann neben mir, der noch bei mir eingehakt war. ‘Festhalten! Bloß nicht loslassen!’ ging mir durch den Kopf. Und ‘NEIN! NEINNEINNEIN!!!’

Danach kehrte wieder gespannte Ruhe ein und ein paar Minuten später konnte der Demozug weitergehen, bis dann vorne am Hermannplatz endgültig Schluss war. Wir sind im Nachhinein alle möglichen Varianten durchgegangen, was die Strategie hinter diesem Eingreifen war. Ich hatte nichts getan und auch in der Menge direkt vor uns habe ich nichts gesehen, was das Eingreifen in diesem Moment gerechtfertigt hätte. Ich war wahrscheinlich als Bauernopfer auserkoren mit dem Ziel, Einzelne rausziehen, um die Menge aufzuheizen oder Einzelne am Rande rauszuziehen, um die gut aufgestellte Menge aufzulösen. Variante zwei (irgendjemand bei der Polizei war der Meinung, ich wäre auf einem Video bei einer Straftat zu sehen und hätte nun den Hinweis gegeben, mich dabei aber mit jemand anderem verwechselt) halte ich für unwahrscheinlich. Denn ich hatte so auffällige Kleidung an, dass man sich schon ordentlich vertun muss. Aber andererseits weiß man ja nie so genau.

Soviel also zur Strategie, nur bei reellen Verstößen einzugreifen. Jetzt will ich gar nicht in Abrede stellen, dass diese Strategie im Großen und Ganzen so durchgeführt wird. Die Zeiten, in denen wahllos einfach alles und jeder rausgezogen wurde, sind lange vorbei. Aber die Berichte von Polizisten, die ihre Kollegen wegen Körperverletzung im Amt angezeigt haben (Nr. 1, Nr. 2), sprechen halt auch ihre eigene Sprache.

2 Comments

  1. Manchmal ist da glaub ich weniger Strategie hinter sondern mehr die Lust an Gewalt einiger Beamter in grün. Als langjähriger Auswärtsfahrer beim Fußball hab ich schon einiges erlebt. Nicht selten wurden Leute bespuckt und geschubst nur um eine Konfrontation hervorzurufen. Das natürlich sowohl bei Demos als auch beim Fußball da immer wieder Leute drauf anspringen und auch welche es drauf anlegen, ist auch klar. Die Panik, die einen selber dabei überkommt, geht jedoch nie weg.

  2. @Thomas: Was die Lust an der Gewalt von einzelnen Polizisten angeht, stimme ich dir auch sofort zu. Da solche Vermutungen über Motivationen aber leider häufig und sehr schnell in der Sphäre von Spekulation und Unterstellung und “die blöden Bullen wollen doch eh nur legal Kloppe verteilen” landet, hab ich diesen Part bewusst rausgelassen. In meiner Wahrnehmung ist man dann bei anderen nämlich ziemlich schnell in der “du hast doch auch Dreck am stecken”-Ecke. Was extrem beschissen ist, weil es vor allem den Erfolg der offiziellen Körting-Doktrin bzw. der Grundansage “Die Polizei wahrt die öffentliche Ordnung, Querulanten sind nur die anderen” aufzeigt.

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