Ich bin offiziell totgefeiert. Ich kann nicht mehr.
Es ist der vorletzte Abend vor meiner Abreise. Man sollte meinen, ich sitze mit meinen Liebsten zusammen und saufe mir die Hucke voll. Stattdessen sitze ich an dem Ort, an dem ich die letzten vier Sommer genossen habe (unserem Balkon) und genieße Bier und Chips in ganz besonderer Runde (mit mir und meinen Träumen).
Bier. Jever. Mein Bier der letzten Jahre. Ich genieße jeden einzelnen Schluck. Denn es werden die letzten für eine ganz schön lange Zeit sein. Wenn ich durch die Stadt laufe, muss ich unwillkürlich daran denken, dass ich das hier auf lange Zeit nicht mehr sehen werden. Im Kopf gesellen sich Bilder aus Auckland dazu. Ich freue mich wie Bolle auf die erste Erkundungstour durch die Stadt. Auch wenn ich mich seit ein paar Wochen bewusst fernhalte von irgendwelchen Reiseberichten, konnte ich neulich doch nicht widerstehen und bin mit Google’s Street View mal durch Downtown Auckland geschlendert. Hässliche Innenstadt. Ganz viel Alu-Glas ist mir da ins Auge gesprungen.
Die letzten Male für eine ganz schön lange Zeit. Ein Freund meinte gestern etwas entsetzt zu mir, ich würde reden als wäre ich bald für immer und unerreichbar fort. Was nicht stimmt, denn es gibt Skype und Twitter und E-Mail und Facebook und die gute, alte Post. Aber ihr wisst das, es ist anders, wenn man mit den Menschen zusammensitzt. Wenn man das Lachen im selben Raum hört. Wenn keine schlechte Netzverbindung die Story von gestern Abend verruckelt. Wenn man die lieben Menschen zum Abschied in den Arm nehmen kann.
Die vergangenen zwei, drei Monate waren krass. Und exakt so, wie ich sie mir erhofft hatte. Mitte April habe ich aufgehört zu arbeiten und konnte seitdem das machen, wofür mir in den Jahren davor immer die Zeit und der Elan fehlten. Ich habe mit tollen Menschen die Rails Girls Berlin aufgebaut. Ich habe endlich Zeit für Vokü gehabt und von zwei begeisterten Köchen unfassbar viele Dinge gelernt. Ich konnte meinem Schlafrhythmus nachgehen (Mittagsschlaf!!!). Es gab Morgende, da bin ich mit meinem Kaffee und meinem Feedreader auf den Arnswalder Platz gegangen. Eine Zeitlang hatte ich einen Verbündeten. Ein junger Mann, der aussah, als würde er Texte für seine Hausarbeit oder so lesen. Wann immer ich kam, war er schon da.
Die Fusion hat meine Füße kaputt gemacht, aber diese vielen kleinen Dinge haben meine Sinne begeistert. Ich war überrascht, als ich im Nachhinein hörte, dass wohl mittlerweile recht große Festivalleute hinter dem Kulturkosmos stecken. Denn es gab ganz viel Platz und Raum für die kleinen, feinen Sachen. Und der Hammer waren einfach mal Turbostaat, die den kompletten unteren Zeltplatz in ihrer Musik eingehüllt haben. Nicht ein einziger elektronischer Beat hatte da noch eine Chance. In die Fresse!
Das Wochenende in Brandenburg. In der Mitte der Kirschallee. Ein Haus, eine Scheune, ein Garten. Es war Glücksbärchis vs. Punks. Es war ein Stück Prärie vor der Haustür, garniert mit Pfeffi, Lagerfeuer und diversesten Ritusflaschen (die einzig Gelungene ist am nächsten Tag dann doch noch in ihre Einzelteile zerfallen). Es war die Quintessenz meines Lebens. Nur ein Mensch fehlte. Scheiß Arbeit.
Das Zimmer ausräumen. Freudetrunken wie ich bin, hab ich mir immer gedacht: “Ach, einfach nur alles rausräumen. Soviel ist das ja auch nicht.” Bis irgendwann (=vor ungefähr 4 Tagen) die Erkenntnis zu mir durchgedrungen ist, dass das Zeug ja auch irgendwo hin muss. Und das irgendjemand das Zeug irgendwie da hinbringen muss. Das war so ein Moment von Panik. Anderthalb Jahre durch die Welt gondeln ist halt doch kein “na dann bleibt’s während des Urlaubs eben liegen, wen kümmert’s, hauptsache der alte Joghurt landet vorher noch im Müll”. Und ich sach euch, einen Keller zu finden, der a) ca. 2 qm Platz bietet, b) nicht von Ratten oder Feuchtigkeit durchsetzt ist und wo c) die Leute in den nächsten 1.5 Jahren ziemlich sicher wohnen bleiben werden … Puh!
Zwei Quadratmeter Platz. Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen. Schaut mal um euch rum, wieviel Platz eure Besitztümer so einnehmen. Und jetzt überlegt, was das Wichtigste ist, dass dann auf 2 Stapel Umzugskartons passt. Na? Genau! Und so ging’s mir in den letzten Wochen. Nun bin ich seit geraumer Zeit im Ausmistmodus, da ist das alles recht angenehm. Und Deadlines sind ja sowieso eine gute Sache. Aber am Ende alle Habseligkeiten auf 8 Kartons und ein paar Möbelstücken reduziert zu sehen, da wird das Herzelein dann schon ein wenig schwer.
Einmal ist mir auch so richtig schlecht geworden. Dazu muss ich jetzt kurz mal ausholen. Ich bin ja schon ein geographisch recht gesettelter Mensch. 19 Jahre Strausberg, seitdem Berlin. Strausberg ist vom Alex 40 km weg oder 1 Stunde mit der Bahn, wie wir hier zu sagen pflegen. Da bin ich jetzt nicht sonderlich weit gekommen. Anders als meine lieben Freunde aus anderen Teilen des Landes. Nun ist Salzgitter nicht Auckland und auch nur ein paar Stunden mehr weiter weg. Aber was ich nie hatte, war ein kompletter Neuanfang in einer anderen Stadt. Neuanfang in dem Sinne, dass ich vorher niemanden dort kannte. Als ich nach Berlin zog, war das zum einen noch mit meiner Mum zusammen und ich hatte zum anderen bereits Freunde hier. Auch in Delhi kannte ich schon Leute und ein halbes Dutzend meiner Kommilitonen war zusammen mit mir dort. Es ist also wahrhaftig die sprichwörtliche Reise ins Unbekannte. Und dazu gesellt sich der Umstand, dass ich aus meiner jetzigen WG rausgehe. Zimmer weg, raus ausm Mietvertrag. So alles eben. Und dann stand ich eines Tages an meinem Schreibtisch, nahm meinen Schlüssel in die Hand und mir wurde klar, dass ich das erste Mal in meinem verdammten Leben das Haus verlasse und keinen Schlüssel in der Tasche haben werde. Fucking hell! Bäng! Bämmm! Powww! Der Spießer in mir hat immer noch ein bisschen Angst. Aber der Hippie in mir freut sich schon derbe auf dieses Gefühl.
Und jetzt noch ein paar unrelated notes. Pringles spicy sour cream and onion sind wirklich spicy. Also wirklich wirklich. Wer vorhat, mal ‘ne Packung nicht sofort wegzuatmen, ist mit dieser Sorte gut beraten. Das 3in1 Gesichtswasser von Bebe gibt’s angeblich noch. Sie verschicken sogar Probepackungen an bloggende Kosmetikausprobierer (Welten, sag ich euch, Welten!). Nur leider gibt’s das in keinem verdammten, scheiß Laden in Berlin. Kurz vor der Landung in Auckland werde ich meine Schuhe putzen. Es geht die Kunde, die Neuseeländer Zollbeamten seien recht paranoid, was die Einfuhr von nicht einheimisch-ansässigen Staubkörnern angeht. Ach, und das Breitband-Internet soll da auch nicht so dölle sein. Und irgendwie muss ich die Pueblo-Leute noch dazu bringen, eine Zweigstelle in Neuseeland aufzumachen.
30. July 2012 at 4:34 AM
Schönster Text seit langem. Alles erdenklich gute für dich und ganz viel Glück!
31. July 2012 at 11:47 AM
weil auckland ≠ neuseeland uuuuuunbedingt inne berge. und an die flüsse. durch die flüsse. black flies verfluchen. am strand durchpusten lassen. respekt vor der brandung bekommen. fischburger entdecken. gold waschen. mit samoanern über fiese maoriwitze über weisse neuseeländer lachen.
hab ne gute zeit
1. August 2012 at 3:42 PM
@ronny \m/
@bemme genau sowas hab ich auch im kopf ;).