die katrin

my photography & other stuff

Der Grimm des anderen.

| 1 Comment

Er hat jetzt sein eigenes Zimmer bekommen. Ich kannte ihn bereits aus Dunedin. Ein Freund von mir hat dort mit ihm einen Monat im gleichen Hostel gewohnt, zeitweise auch in einem Zimmer. Ich schätze ihn auf Ende dreißig, groß und schlaksig, seine Gedanken eher weiter weg vom kulturellen Mainstream. Er bezeichnet seine Zeit vor Neuseeland als spirituelle Phase, fünf Jahre hat sie angehalten. Es könnte spannend sein, mit ihm zu sprechen, seine Sicht auf die Welt zu hören. Aber etwas hält mich davon ab. Da ist immer etwas grimmiges in seinen Augen, beobachtend, beurteilend, verurteilend. Wenn er mit Leuten spricht, spricht er nicht mit ihnen, sondern zu ihnen, Monologe werden es, sie ermüden das Gegenüber. Immer Contra, immer die eigene Sicht in die Länge ziehen. Alle Gespräche, die ich mit angehört habe und die wenigen, die ich selbst mit ihm geführt habe, enden mit dem Schweigen des Gegenübers. Ich bezweifle, dass er ahnt, warum. Die Jugendlichen auf dem Höhepunkt ihrer hormonellen Getriebenheit nerven ihn. Dennoch bleibt er. Sich einen anderen Ort zu suchen, das kommt ihm nicht in den Sinn. Warum sollte er, er hat genauso ein Recht hier zu sein wie alle anderen auch. Dagegen ist wenig zu sagen. Und doch, am Ende ist er derjenige, der genervt und alleine vor seinem Rechner sitzt. Zu viel Selbstgerechtigkeit treibt andere hinfort. Gestern abend ist das Grimmige nach außen getreten. Mehrmals hat er versucht zu provozieren, hat sich in Gespräche eingemischt, Leute beleidigt, “wanna fight? you can have it, right now!” Selbst abends im Zimmer gegenüber dem Zimmerkollegen. Keiner hat sich drauf eingelassen. Aber am nächsten Morgen gingen die Geschichten rum. Da der Zimmerkollege als Konsequenz nach einem anderen Raum fragte, haben auch die Hostelleute davon Wind bekommen. Sie haben ihn nicht rausgeschmissen, obwohl sie anscheinend darüber nachdachten. Passiert ist ja nichts. Und wegen einmal? Aber sie wollen auch nicht das Risiko eingehen, dass sich jemand nochmal in seinem Zimmer, in dem Raum wo man schläft und wo alle Sachen sind, bedroht fühlt.

One Comment

  1. Hey,
    erstmal bin ich ganz froh, wieder was von Dir zu lesen, ich begann fast, mir Sorgen zu machen :-) Aber ich weiss, so geht es auf Reisen, Zeit ist relativ.

    Was Du beschreibst, trifft ziemlich genau einige meiner Couchsurfing-Gäste, die ich in den letzten Monaten hatte. Insbesondere von einem hatte ich Dir ja berichtet. Teilweise ziemlich aggressives Verhalten. In meinem Rahmen hier in meiner Wohnung in Berlin konnte ich solche Situationen bislang immer mit direkter Ansprache aufbrechen – dadurch und durch Gespräche habe ich das Vertrauen bekommen, dass sich so ein verschlossener Mensch öffnen konnte. Es war eindrucksvoll und traurig zugleich, wie dieser alles besser wissende Mensch mit gebeugtem Rücken vor mir saß, versuchte, sich zu öffnen, mit seinem Wahnsinn kämpfend, um Worte ringend, ungeweinte Tränen in den Augen, die einfach nicht fliessen wollten. Das Unverständnis darüber und die Verzweiflung in den Augen, dass er nicht mal mehr Tränen hatte.
    Spannend wurde es nochmal nach einigen Wochen Abstand, als wir uns mit einem anderen trafen, der gerade ähnlich aggressiv ist, allerdings wesentlich offener, weicher und geduldiger. Die 2 Jungs hatten sofort eine Ebene, es war so erstaunlich, wie sie sich gegenseitig in ihrer Weltsicht auffingen, welche Wendungen das Gespräch nahm. Der ganze Abend war einfach unvergesslich eindrucksvoll.
    Was mir auffällt: der dichtere, oder, wie Du viel treffender sagst, grimmigere von Beiden, hat auch so eine Erleuchtungsmission. Wie zur Hölle kommen Menschen auf die Idee, Erleuchtung oder das Teilen von Wissen müsse mit Aggressionen verbunden sein?
    Das eigtl Drama ist vermutlich, dass sie selbst unter ihrer inneren Abgeschlossenheit leiden …

Leave a Reply

Required fields are marked *.