die katrin

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“the prison”. “Arbeitslager”. Kapital. Und ein paar gute Worte mittendrin.

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DISCLAIMER Du bist auf dem Weg nach Neuseeland für ein paar Monate Working Holiday und zufällig hier auf meinem Blog gelandet? Zu allererst: Viel Spaß! Zum nachfolgenden Artikel. Dieser Artikel ist von Oktober 2012 und spiegelt meine persönliche(!) Meinung in meinem eigenen Schreibstil. Plus, je mehr Zeit zwischen diesem Artikel und der Zukunft (deiner jetzigen Gegenwart) liegt, desto mehr kann sich verändert haben.

Duncannon. Der Name klingt nach mittelalterlichem Schloss hoch oben in den Bergen Schottlands. Das mit dem mittelalterlich stimmt soweit – wenn man Schloss durch Festung ersetzt und sich ein paar krude Regularien dazu denkt. Das Duncannon in Blenheim. Wir nannten es liebevoll “the prison”. Weil die Bungalows noch weniger Charme versprühen als jedes Schullandheim in Deutschland und mehr nach funktionalem Lager aussehen denn nach Hostel (was es offiziell ist). Weil man keinen Alkohol trinken darf. (Ok, man darf den nur in seinem Zimmer trinken, nicht aber in den communal areas, aber hey. Zum Grund dafür komme ich gleich.) Weil man nur an zwei ausgewiesenen, immerhin überdachten Ecken rauchen darf, nicht aber auf dem restlichen unter-freiem-Himmel-Gelände (selber Grund wie beim Alkohol, aber ad absurdum geführt in der Umsetzung). Weil sie das Geschäftsmodell work&stay-packages verfolgen. Weil sie für die Bereitstellung von Vans für die Fahrt zur Arbeit das Doppelte von dem verlangen, was ortsüblich ist.

Hideaway Lodge. Der Name klingt nach verträumter Oase mitten im Nirgendwo. Das mit dem mitten im Nirgendwo stimmt soweit – wenn man Oase durch schmucklose Bungalowsiedlung ersetzt und sich ein paar Kakerlaken in der Größe meines Mittelfingers dazu vorstellt. Die liebevolle Bezeichnung “Arbeitslager” stammt von einer hiesigen Freundin, die mal zu Besuch war und rückwärts wieder rausgestolpert ist. Das Hideaway hat mit dem Duncannon das Funktionale gemein. Es ist ein Ort für Saisonarbeiter und solche, die es werden wollen. Allerdings muss ich das Hideaway gleich mal ein wenig in Schutz nehmen. Der Besitzer und Manager ist nämlich eine Seele von Mensch und kümmert sich großartig darum, uns mit Jobs zu versorgen. Und wer kein Auto hat, kann immer kostenlos 2x am Tag mit dem Hostelvan in die Stadt gefahren werden oder eben zur Arbeit, wenn nötig. Und sowas wie Alkoholverbot oder solche Scherze gibt’s hier auch nicht, trotz Leuten von den Inseln.

Aber kommen wir zu ein paar Erklärungen mit ein paar subjektiven Einfärbungen. Die Sache mit dem Alkohol und dem Rauchen, vor allem die Sache mit dem Alkohol. Das Duncannon beherbergt eine ganze Reihe an sogenannten RSE-Arbeitern. RSE steht für Recognised Seasonal Employer (Scheme), hier der Link zur offiziellen Seite des Department of Labour. Das Duncannon fungiert also als Arbeitgeber für Saisonarbeiter, die hier in Neuseeland meist von den Inseln nördlicherseits kommen, also Tonga, Wanuatu, Samoa usw. (Für die Hideaway Lodge gilt das nur eingeschränkt, die sind “nur” anerkannter Wohnort.) Saisonarbeiter werden – ähnlich wie in Deutschland für die Spargel- und Erdbeerernte – dringend gebraucht, um die schiere Menge an anfallender Erntearbeit erledigen zu können. Diese Notwendigkeit trifft dann auf Einwanderungspolitik westlicher Art und wird eben in besagtem RSE-Programm organisiert. Mit entsprechenden Bedingungen, Regularien und Vorschriften, wie sich das für eine ordentliche Einwanderungspolitik halt so gehört. Die Saisonarbeiter von den ökonomisch dritt-welt-lerischen pazifischen Inseln dürfen sich schließlich glücklich schätzen, wenn sie eines der begehrten Visa erhalten und hier in Neuseeland vergleichsweise viel Geld verdienen dürfen. Was sie gefälligst wieder nach Hause tragen sollen anstatt es hier für ihre eigenen Freuden zu verbraten. Und schlussendlich sind sie zum Arbeiten hier, nicht zum Trinken. Dass die Leute von den Inseln hier auf eine freiheitlich-kapitalistische Kultur treffen, in der ihnen den ganzen Tag lang vorgelebt wird, dass man selbst über sein Leben entscheiden kann und das verdiente Geld einem selbst “gehört” und man (vermeintlich) selbst entscheiden kann, wofür man das so ausgibt, wird nirgendwo erwähnt, geschweige denn problematisiert. Zu selbstverständlich ist auch hier die Annahme, dass man den Menschen von den Inseln ja etwas Gutes tut. Dass Neuseeland ein großer Haufen verfaulendes Obst wäre, gäbe es diese Saisonarbeiter nicht, wird wohl nur hinter vorgehaltener Hand in verschlossenen Zimmern geflüstert.

Soviel zur Arroganz des Westens. Auf der anderen Seite stehen die Familien und z.T. Communities, deren tatsächlich einzige Chance, an Geld via Arbeit zu kommen, eben diese Saisonarbeit in Neuseeland ist (und in Australien). Ihr erinnert euch an meinen Post über Leute, die aus Asien oder Südamerika hierher kommen und das vornehmlich, um Geld fürs spätere Studium o.ä. zu verdienen? Gleiche Geschichte. Dementsprechend sind die Vorschriften und Verbote durchaus auch erwünschte Regularien von Seiten der Community-Oberhäupter und Politiker auf den pazifischen Inseln. Und neben der ökonomischen Komponente gelten die RSE-Worker auch als Repräsentanten für die Inseln, auf denen Australier und Kiwis ihren Urlaub machen sollen. Da sind unangenehm auffallende Zeitgenossen eher weniger hilfreich.

Mhmmm, nun jaaa – mag sich die eine oder der andere nun denken – wenn das beide Seite so wollen, dann wollen das beide Seiten so. Da kannste als dahergelaufener Europäer jetzt auch nicht viel dran aussetzen. Und in der Tat. Dieser Punkt hat mich in meiner anfänglichen Empörung auch erstmal wieder ruhig werden lassen. Aber was mich weiterhin keksig macht an der ganzen Sache, ist das Unbehagen, dass Neuseeland am längeren, finanziellen Hebel sitzt und damit in einer Machtposition steht, die Bedingungen zu diktieren. Es ist das alte Spiel. Arbeitskraft auf der einen Seite. Arbeitgeber auf der anderen Seite. Und dazwischen und drumherum Lebenswelten, die auf montärem Kapital aufgebaut sind und ihre Netze der Abhängigkeit spinnen.

Zum Schluss nochmal kurz was zum Duncannon und den work&stay-packages. Das funktioniert so: Die Leute, die Arbeiter brauchen, rufen bei den Hostels an und fragen, ob es dort Backpacker gibt, die gerade Arbeit suchen. Und je mehr Leute von einem Hostel kommen, desto einfacher ist die Orga drumrum (Transport usw.). Einige Hostels bauen darauf nun ihr Geschäftsmodell auf, indem sie zu den Arbeitgebern sagen, ja wir organisieren das für euch. Und damit sich der Aufwand auch lohnt, muss man als Arbeiter dann in deren Hostel wohnen. (Wenn man einen eigenes Auto hat und relativ guten Kontakt zum Supervisor/Manager des Arbeitgebers aufbaut, kann man diese Situation schnell ändern, aber das muss man auch erstmal wissen.) Das Duncannon ist dabei noch einer der angenehmeren Orte. Die facilities sind nüchtern, aber sehr sauber und die Angestellten kümmern sich und helfen bei allen Problemen, soweit es ihnen eben möglich ist. Von Orten wie dem Kiwibunker oder dem Cherry House in Blenheim oder dem Hairy Berry in Te Puke habe ich da wesentlich Schlimmeres gehört. Vor allem das Hairy Berry soll wohl durch seine ausnehmende Dreckigkeit und Sorglosigkeit hervorstechen.

Grundsätzlich kann ich aber nur empfehlen, von work&stay-packages die Finger zu lassen. Es geht immer auch irgendwie anders. Ja, es ist 2012, aber Neuseeland funktioniert nach wie vor am ehesten über persönliche Kontakte. Was im Netz an Farmarbeit zu finden ist, spiegelt lediglich gefühlt 25% der Saisonarbeit wieder. Alles andere läuft eben darüber, dass die Farmmanager bei den Hostels anrufen. Das Internet ist für mich mittlerweile mehr so ein Fingerzeig geworden, in welchen Regionen gerade ungefähr welche Arbeit zu finden ist. Für alles weitere fahre ich dann vor Ort.

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